Gletscherschwund selbst bei sofortiger Stabilisierung des Weltklimas

Uno warnt vor umfassendem Gletscherschwund

Aus Cancún berichtet Christoph Seidler 08.12.2010

Südasien und Südamerika werden besonders schnell und stark von der Gletscherschmelze betroffen sein. Ein neuer Uno-Bericht definiert die Folgen für die betroffenen Länder. Doch auch in der Schweiz sind Forscher höchst alarmiert.

Der Klimawandel macht den Hochgebirgsgletschern in großen Teilen der Welt stark zu schaffen. Das geht aus einem aktuellen Bericht des Uno-Umweltprogramms (Unep) hervor, der auf dem Klimagipfel im mexikanischen Cancún vorgestellt wurde. In einigen Regionen könnten die Gletscher bis zum Ende des Jahrhunderts komplett verschwunden sein, warnen die Autoren des Berichts. Besonders schlecht seien die Prognosen für viele niedrig gelegene Eisfelder. "Dieser Report zeigt einen globalen Trend, der in manchen Teilen der Erde seit Jahrzehnten beobachtet wurde", sagte Unep-Chef Achim Steiner.

Tatsächlich schrumpfen viele Gletscher seit rund 150 Jahren - doch steigende Temperaturen ließen den Schwund seit den achtziger Jahren vielerorts im Zeitraffer ablaufen. Weitere Faktoren verschärfen die Lage: Rußablagerungen aus verpesteter Luft sorgen nicht zuletzt in Asien dafür, dass die Oberflächen vieler Gletscher die einströmende Sonnenstrahlung nur schlecht wieder abgeben können. Sie erwärmen sich noch stärker - und lassen das Eis schneller schwinden.

Die schmelzenden Eismassen gefährden die Bewohner betroffener Regionen gleich mehrfach - zum Beispiel in den Anden und dem Himalaja. Dort erhöht sich den Experten zufolge die Flutgefahr. Bereits jetzt seien jährlich zwischen 100 und 250 Millionen Menschen betroffen. Und wenn die Gletscher einmal verschwunden seien, kämen Probleme durch Wasserknappheit dazu. Dieses Problem droht laut dem Bericht zum Beispiel in Teilen der Anden und in Zentralasien.

Gletscherschwund selbst bei sofortiger Stabilisierung des Weltklimas

Je nach Weltregion unterscheidet sich das Schicksal der Gletscher allerdings deutlich. So schwinden die Eismassen im Süden von Argentinien und Chile überdurchschnittlich schnell, ebenso diejenigen in Alaska. Gefährdet sind auch Gletscher im Nordwesten der USA und im Südwesten Kanadas. Auch in Asien, etwa im Himalaja, dem Hindukusch oder dem Tian Shan, geht viel Eis verloren. In Europa hingegen wuchsen die Gletscher zeitweise sogar - schrumpfen nun aber auch an vielen Stellen.

Vor wenigen Tagen warnten Forscher von der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich im Fachmagazin "Journal of Geophysical Research", dass sich der Schwund der Schweizer Gletscher nicht mehr aufhalten ließe, selbst wenn das Weltklima von einem Tag auf den anderen stabilisiert werden könne. Das Verhalten der Eismassen würde Klimaänderungen um Jahrzehnte hinterherhinken. "Langfristig wird der Gletscherschwund große Auswirkungen auf den gesamten Wasserhaushalt der Schweiz haben", warnte der Glaziologe Martin Lüthi.

Manche Eisansammlungen legen dagegen noch heute zu, zum Beispiel im Westen Norwegens, auf der Südinsel Neuseelands und in Teilen Feuerlands. Schuld sind zusätzliche Niederschläge, die sich durch eine Änderung der Klimamuster ergeben könnten.

Die Interpretation des Berichts ist deshalb schwierig. "Man kann keine generellen Aussagen machen", warnt Madhav Karki vom International Centre for Integrated Mountain Development in der nepalesischen Hauptstadt Kathmandu im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. Natürlich sei der Klimawandel schuld am schnellen Verschwinden vieler Himalaja-Gletscher. Doch genaue Aussagen seien oft schwierig: "Wir brauchen mehr Vor-Ort-Daten."