Immer mehr Deutsche suchen sich eine Arbeit im Ausland – wenn es sein muss, auch zu ortsüblichen Löhnen in Indien oder China.

 

"Haben Sie Interesse an einer nicht alltäglichen Aufgabe?", lockt das Angebot in "Markt und Chance", dem Stellenanzeigen-Blatt der Bundesagentur für Arbeit: "Unterrichten Sie als Englischlehrer/in im Reich der Mitte." Inklusive Unterkunft liege die Vergütung bei 220 bis 600 Euro im Monat, heißt es weiter, aber: "Aufgrund der niedrigeren Lebenshaltungskosten können Sie damit Ihre Ausgaben für den täglichen Lebensbedarf decken." Rund zwanzig Bewerber hätten bislang auf die Anzeige geantwortet, sagt Sabine Seidler, Sprecherin der Zentralstelle für Arbeitsvermittlung der Bundesagentur für Arbeit.

 

Die Vermittlungen ins Ausland nähmen zu, erklärt Seidler: 2003 verließen 6500 Jobsucher mit Hilfe der Arbeitsagentur Deutschland, im vergangenen Jahr stieg ihre Zahl auf 9100. Rund zwei Drittel der Leute seien arbeitslos gewesen, bevor sie im Ausland - etwa in Metallbetrieben, in der Baubranche, in Krankenhäusern oder im Hotelgewerbe - Arbeit annahmen. Die meisten bleiben in Europa: Österreich, die Schweiz, die Niederlande und Großbritannien führen die Liste der Einwanderungsländer an. In der Schweiz sind die Wirtschaftsflüchtlinge inzwischen so zahlreich, dass in der Zeitung "Weltwoche" unlängst ein Artikel über die Integrationsprobleme deutscher Gastarbeiter erschien.

 

Integrationsprobleme hätten seine deutschen Call-Center-Mitarbeiter nicht, sagt Anshumali Saxena von der indischen Firma Tecnovate Solutions: "Indien ist in allen kulturellen Aspekten so völlig anders als Deutschland, dass nur Leute kommen, die bereit sind, sich anzupassen", sagt Saxena. Rund 100 der 1000 Mitarbeiter kämen aus Europa, darunter seien sechs Deutsche. Insgesamt stieg die Zahl der deutschen Auswanderer von 2001 bis 2003 von 109.500 auf 127.000, weiß Uwe Lohe vom Statistischen Bundesamt. Dass mehr Leute einen Job im Ausland suchen, liege unter anderem an der besseren Vermittlung und der verschärften Jobkonkurrenz, die Auslandserfahrung wichtiger mache, glaubt Sabine Seidler von der Bundesagentur für Arbeit: "Der dritte Grund liegt auf der Hand: Wir haben aus anderen Ländern teilweise Angebote für Fachkräfte, die in Deutschland einfach keine Arbeit finden."

 

 

GLOSSAR

 

Gastarbeiter(in), der/die – jemand, der für eine bestimmte Zeit in ein fremdes Land geht, um dort eine bestimmte Zeit zu arbeiten, um dann wieder in die Heimat zurückzukehren. Der Begriff Gastarbeiter suggeriert einen vorübergehenden Aufenthalt im Gastland aus einem bestimmten Grund (Arbeit) und blendet damit soziale und kulturelle Aspekte aus. Die Erfahrung zeigt, dass oftmals die ursprüngliche Annahme des Aufenthaltes für eine begrenzte Zeit unzutreffend ist

 

ortsüblich – wie es an dem betreffenden Ort üblich ist

 

Bundesagentur für Arbeit –Institution, die in Deutschland für die Arbeitsverwaltung und -förderung zuständig ist (früher: Arbeitsamt)

 

inklusive – einschließlich, eingeschlossen, inbegriffen

 

Unterkunft, die – Zimmer oder Wohnung, in der Regel für kurze Zeit als Gast bewohnt

 

Vergütung, die – der Lohn

 

Lebenshaltungskosten, die –das Geld, das für Kleidung, Nahrung und Wohnung etc. (also für den täglichen Lebensbedarf) ausgegeben werden muss

 

Ausgaben, die (pl.) –das Geld, das jemand(e) für ein(e) Sache ausgibt, Gegenteil: Einkünfte

 

Ausgaben decken –Ausgaben bezahlen

 

zunehmen –mehr werden

 

arbeitslos –ohne Arbeit, ohne Arbeitsplatz

 

Wirtschaftsflüchtling, der –jemand(e), der/die aus wirtschaftlichen Gründen ein Land verlässt

 

Integrationsproblem, das –Problem bei der Eingliederung von Individuen oder Gruppen in eine größere soziale Gruppe oder auch Gesellschaft

 

sich anpassen –sich so verändern oder verhalten, dass man in sein (soziales) Umfeld passt

 

Auswanderer, der/die –jemand(e) der/die sein Heimatland verlässt, um an einem anderen Ort zu leben

 

Statistisches Bundesamt –erhebt, sammelt und analysiert Informationen zu fast allen Belangen des Lebens in Deutschland, bereitet sie auf und stellt sie statistisch dar.

 

verschärft –unangenehmer, bedrohlicher als vorher

 

etwas liegt auf der Hand –etwas ist offensichtlich


 

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