Bioethik-Volksabstimmung in Italien gescheitert

Großansicht des Bildes mit der Bildunterschrift: War die Materie zu komplex oder die Macht der Kirche zu groß?

 

Die Volksabstimmung über Stammzellforschung und künstliche Befruchtung in Italien ist gescheitert. Nur jeder Vierte gab seine Stimme ab. Die katholische Kirche hatte zum Boykott des Referendums aufgerufen.

 

Italiens katholische Kirche hat den Kampf um die Volksabstimmung über Stammzellforschung und künstliche Befruchtung gewonnen. Bei strahlendem Sonnenschein folgten die meisten Wahlberechtigten der Aufforderung der Bischöfe und Kardinäle, dem Referendum fernzubleiben. Damit scheiterte die Volksabstimmung über mögliche Erleichterungen wegen mangelnder Beteiligung.

 

Die Wähler sollten entscheiden, ob Paare bei künstlicher Befruchtung auf Spendersamen zurückgreifen dürfen. Ein 2004 verabschiedetes Gesetz verbietet dies. Bei dem Referendum ging es außerdem um die Frage, ob bei künstlicher Befruchtung weiterhin maximal drei Embryonen erzeugt werden dürfen, die sämtlich ohne Präimplantationsdiagnostik der Frau eingepflanzt werden. Ferner ging es um die Frage, ob das bestehende Verbot von Forschung an embryonalen Stammzellen bestehen bleiben soll.

 

Um gültig zu sein, hätte eine Beteiligungs-Quote von 50 Prozent erreicht werden müssen. Nach Angaben des Innenministeriums beteiligten sich an zwei Tagen lediglich zwischen 25,1 und 26 Prozent der Stimmberechtigten an der Abstimmung. Nicht nur der kirchliche Boykott-Aufruf, sondern auch die wachsende Enttäuschung der Italiener über die Politiker führte nach Meinung von Zeitungskommentatoren zu dem allgemeinen Desinteresse.

 

Inwiefern der Erfolg der "harten Linie" der Kirche mit dem neuen Papst Benedikt XVI. in Verbindung zu bringen ist, darüber gehen die Meinungen auseinander. Eine der entscheidenden Ursachen dürfte auch das Zögern und Zaudernder Parteien gewesen sein. Kaum ein Politiker wollte angesichts der Unwägbarkeiten Farbe bekennen.

 

Ministerpräsident Silvio Berlusconi ging ebenso wenig zur Wahl wie die Kammer- und Senatspräsidenten. "Die Fragen drehten sich um eine sehr technische Materie und waren zu komplex", sagte der Regierungschef. "Volksbefragungen sind in Ordnung, wenn es für die Bürger leicht ist, die Gründe zu verstehen, aus denen sie zum Wählen aufgerufen werden."

 

Mit seiner Einschätzung lag der Regierungschef wohl nicht ganz falsch. Bei vielen Bürgern ist die Verunsicherung in einer Materie groß, die hoch kompliziertund für den Laien kaum durchschaubar ist.

 

 

GLOSSAR:

 

Stammzelle, die – eine Körperzelle, die noch nicht ausdifferenziert ist; eine Körperzelle, die noch nicht auf eine bestimmte Verwendung im Körper (z.B. als Hautzelle) spezialisiert ist

künstliche Befruchtung, die – die Befruchtung der Eizelle auf künstlichem Weg außerhalb des Körpers

 

gescheitert sein – keinen Erfolg haben

 

Boykott, der – das Nichtbeachten; die Verweigerung; hier: das Nicht-Teilnehmen am Referendum

 

dem Referendum fernbleiben – nicht am Referendum teilnehmen

 

wegen mangelnder Beteiligung – wegen zu geringer Beteiligung

 

ein 2004 verabschiedetes Gesetz – ein 2004 beschlossenes Gesetz; ein Gesetz aus dem Jahr 2004

 

Präimplantationsdiagnostik, die – gentechnische Methoden, um vor einer künstlichen Befruchtung mögliche Erbkrankheiten oder Besonderheiten an den Chromosomen zu erkennen (um danach zu entscheiden, ob man die Zygote in die Gebärmutter einpflanzt oder nicht)

 

ferner – außerdem

 

bestehen bleiben – weiter existieren

 

lediglich– nur

 

inwiefern – inwieweit; in welcher Hinsicht

 

darüber gehen die Meinungen auseinander– darüber gibt es sehr unterschiedliche

Meinungen

 

Unwägbarkeiten (pl.) – Unberechenbarkeiten; Unsicherheiten

 

Farbe bekennen – öffentlich und deutlich sagen, zu was man sich bekennt, welche Meinung man vertritt

 

Materie, die – ein Thema; ein thematischer Bereich

 

sich um etwas drehen – um ein Thema gehen; ein Thema zum Gegenstand haben

 

wohl – wahrscheinlich

 

hoch kompliziert – sehr kompliziert

Laie, der – ein Nichtfachmann; jemand ohne besondere Kenntnisse auf einem speziellen Gebiet

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