Integration als stufenfљrmige Assimilation

Das Konzept der Assimilation spielt sowohl in der Bevљlkerung und den politischen Debatten, als auch in der Wissenschaft noch immer eine gro§e Rolle. Fџr die Wissenschaft lЉsst sich dies an der von H. Esser vorgeschlagenen Typik der Sozialintegration von Migranten und ethnischen Minderheiten zeigen. Esser geht davon aus, dass Menschen entweder in ihrer Herkunftsgesellschaft bzw. ethnischen Gemeinde oder in ihrer Aufnahmegesellschaft bzw. ihrem Aufnahmekontext inkludiert werden kљnnen. Zieht man diese beiden Auswahlkriterien in Betracht, so entwickeln sich daraus vier Mљglichkeiten der inhaltlichen Ausgestaltung von Integration (vgl. Tabelle 1). Als erste Mљglichkeit von Integration ergibt sich die multiple Inklusion oder Mehrfachintegration.[2] Bei dieser findet eine Integration sowohl im Aufnahmekontext als auch in den ethnischen kulturellen Bezџgen des Herkunftslandes von Migranten statt. Eine zweite Mљglichkeit ist die Segmentation; sie tritt ein, wenn die Inklusion zwar im ethnischen Kontext vorhanden ist, aber im Aufnahmekontext ausbleibt. Assimilation als dritte Mљglichkeit bezeichnet die Inklusion im Aufnahmekontext und die Aufgabe der Bindungen im ethnischen Kontext. Die vierte Form der Inklusion, die als MarginalitЉt bezeichnet wird, ergibt sich, wenn weder im Aufnahmekontext noch im ethnischen bzw. Herkunftskontext eine Inklusion stattfindet.

 

Tabelle 1: Typen der Sozialintegration von Migranten nach Esser

  Inklusion in Aufnahmegesellschaft/Aufnahmekontext
Ja Nein
Inklusion in Herkunftsgesellschaft/ ethnischem Kontext Ja Multiple Inklusion Segmentation
Nein Assimilation MarginalitЉt

Quelle: Esser 2009: 362, 1999: 21 und 2001:19

 

Esser vertritt Р wie auch viele andere Migrationsforscher in der zweiten HЉlfte des 20. Jahrhunderts Р die These, dass Assimilation der einzige Erfolg versprechende Weg einer dauerhaften Integration sei. Fџr den Aufnahmekontext bzw. die Ankunftsgesellschaft und auch die Migranten kљnne die Nicht-Inklusion bei gleichzeitigem Verbleib in den ethnischen Herkunftsbezџgen, also die Segmentation, keine stabile und gewџnschte Lљsung sein. Dies gelte natџrlich auch fџr die Nicht-Inklusion in Herkunfts- und Aufnahmekontext, also die MarginalitЉt. Esser beurteilt aber auch die Mehrfachintegration bzw. multiple Inklusion sehr kritisch: гDie Mehrfachintegration ist zwar logisch ein mљglicher, faktisch jedoch ein kaum wahrscheinlicher Fall. Sie erfordert ein Ausma§ an LernaktivitЉten und Gelegenheiten, das den meisten Menschen verschlossen ist, und das erst recht bei den џblichen (Arbeits-) Migranten. Dieser Typ der вmultikulturellenФ Sozialintegration kЉme allenfalls fџr Diplomatenkinder in Frage. Und er ist empirisch in der Tat au§erordentlich seltenТ (Esser 1999: 21f).[3]

Die hier zum Ausdruck kommende Љu§erst skeptische Haltung gegenџber einer Mehrfachintegration bzw. multiplen Inklusion ist kein Einzelfall. Selbst die Bundeskanzlerin Merkel erklЉrte im Oktober 2010, вMultikultiФ sei gescheitert. Diese Zurџckhaltung gegenџber dem Modell der Mehrfachintegration ist eng verbunden mit den allgemeinen Vorstellungen darџber, wie Integration bzw. Inklusion normalerweise ablaufen. Hierbei dominierte sowohl in der allgemeinen gesellschaftlichen Debatte als auch in der Wissenschaft ein reduziertes IntegrationsverstЉndnis, welches recht gut in dem Stufenmodell der monistischen Assimilation deutlich wird. Ronald Taft hatte dieses Modell bereits 1953 in einem viel beachteten Aufsatz als das, auch in vielen EinwanderungslЉndern wie Australien und den USA, dominierende Denken vorgestellt, demzufolge die вAbsorptionФ von Migranten in eine bestehende Gesellschaft normalerweise als вProzess des ЂhnlichwerdensФ ersterer in Bezug auf letztere verstanden wird (Taft 1953: 45; vgl. auch Fincke 2009: 39; Heckmann 2010: 2).

Diese monistische Assimilation verlЉuft Р so Taft 1953 und 1957 Р in verschiedenen Stufen und Љhnlich dem Hinaufsteigen einer Treppe oder dem Erklimmen eines Gipfels. Taft (1957: 142ff) unterschied sieben Stufen, џber die sich der Prozess des вЂhnlichwerdensФ als Assimilation vollzieht: ZunЉchst findet kulturelles Lernen in der Aufnahmegesellschaft vor allem als Sprachenlernen und Kennen der wesentlichen Kulturbestandteile statt. Zweitens entwickelt sich dann eine positive Einstellung zu den Mitgliedern und Normen der Aufnahmegesellschaft. Darauf folgen drittens die Entwicklung negativer Einstellungen zu den Mitgliedern und Normen der Herkunftsgesellschaft und viertens die Zustimmung zu den bzw. Akkommodation an die wahrgenommenen Rollenerwartungen in der Aufnahmegesellschaft. Der fџnfte Schritt besteht darin, dass der Migrant wahrnimmt, von der Aufnahmegesellschaft sozial akzeptiert zu werden. Dies fџhrt auf der sechsten Stufe zu seiner Identifikation mit der Aufnahmegesellschaft und schlie§lich als letztes zu einem EinverstЉndnis und einer wahrgenommenen †bereinstimmung mit den vorherrschenden Werten und Normen. Die impliziten Annahmen dieses Modells sind klar: Integration ist ein unilinear gerichteter Prozess; Integration ist eine вBringschuldФ der Migranten selbst, sie haben sich an die vorherrschenden Normen der Ankunftsgesellschaft anzupassen; die Etappen der als Assimilation verstandenen Integration werden als Stufen in einer hierarchischen Sequenz verstanden.

 

Abbildung 1: Stufen der (monistischen) Assimilation nach Taft (1953 und 1957)

2. positive Einstellung zur Aufnahmegesellschaft
4. Akkommodation an Rollenerwartungen der AG
5. soziale Akzeptanz durch Aufnahmeges.
1. kulturelles Lernen in der Aufnahmegesellschaft
7. EinverstЉndnis Werte/Normen
6. Identifikation mit Aufnahmeges.
3. negative Einstellung zur Herkunftsgesellschaft

 

Ein solches Konzept monistischer Assimilation war und ist in allen Gesellschaften in der einen oder anderen Form verbreitet, es findet sich auch in zahlreichen wissenschaftlichen Versionen. Wie bereits Taft (1953: 46) hervorhob, war es in den USA z.B. die Idee einer вAmerican Core CultureФ, an die sich alle Einwanderer zu assimilieren hЉtten. In Frankreich gab das Konzept eines universellen Republikanismus lange Zeit die Richtschnur fџr Integration vor (MITI 2008; Wihtol de Wenden et al. 2013). In Deutschland waren und sind die Modelle einer вdeutschen LeitkulturФ und einer вchristlich-abendlЉndischen GemeinsamkeitФ wichtige Referenzpunkte in den љffentlichen Debatten. Ohne die Vorstellung eines eindeutigen, relativ konstanten, auf gesellschaftlicher †bereinstimmung beruhenden und unbedingt erhaltens- und verteidigungswerten IdentitЉtskerns einer Ankunftsgesellschaft fehlt dem auf Ronald Taft zurџckgehende und hier nur skizzierte Stufenmodell der Assimilation der Orientierungsanker: Was ist die Spitze des zu erklimmenden Assimilationsberges? Wohin sollen die Stufen der Anpassung fџhren?

Dass dieses Stufen- und Sequenzdenken auch in der klassischen Integrationsforschung sehr verbreitet ist und noch heute vorherrscht, lЉsst sich z.B. an den Arbeiten von Esser zeigen. Im Hinblick auf die Sozialintegration von Migranten unterscheidet er Р ganz im Sinne der US-amerikanischen Assimilationsliteratur Р die vier Dimensionen der (1) kulturellen Assimilation (Kulturation) im Sinne des Erlernens von Wissen, Fertigkeiten und vor allem der Sprache der Ankunftsgesellschaft, der (2) strukturellen Assimilation (Platzierung) im Sinne der Positionierung im Erwerbssystem und der Verleihung von Rechten, der (3) sozialen Assimilation (Interaktion) als dem Knџpfen sozialer Beziehungen und der sozialen Akzeptanz in der Ankunftsgesellschaft und (4) der emotionalen Assimilation (Identifikation) als der wertorientierten und identifikatorischen Zuwendung zur Ankunftsgesellschaft (vgl. Esser 1999: 24f, 2001:16f, 2009: 358f). Ђhnlich wie schon im monistischen Assimilationsmodell bei Ronald Taft geht er dabei von einer Sequenzfolge des Integrationsprozesses aus: гDie vier Dimensionen hЉngen in typischer Weise auch kausal zusammenТ (Esser 2001: 17). Kulturation, Platzierung, Interaktion und Identifikation sind fџr Esser als Stufen auf der Leiter der monistischen Assimilation gedacht.

Viele empirische Studien orientierten und orientieren sich an einem solchen Modell (vgl. z.B. Heckmann 1997; Ohliger 2007; Worbs 2010). Auch die vor allem fџr die kommunale Ebene entwickelten Integrationsmonitorings spiegeln nicht selten Konzepte einer monistischen Assimilation als mehr oder weniger festgelegter Stufenfolge von Anpassungsschritten wider. So kommt Worbs (2010: 4) in einer †bersichtsstudie zu den Formen und Inhalten von Integrationsmonitorings zu dem Schluss:

гEin hЉufig verwendetes, vierdimensionales Integrationsmodell unterscheidet zwischen struktureller Integration (Einnahme von Positionen und Erwerb von Rechten), kultureller Integration (Erwerb von Wissen und Fertigkeiten), sozialer Integration (Aufbau interethnischer Netzwerke und Beziehungen) und identifikatorischer Integration (Entwicklung von Zugehљrigkeitsgefџhlen).Т (Vgl. auch Heckmann 1997).

Als wichtiges Gegenmodell kann das des Multikulturalismus verstanden werden, das in vielen LЉndern seit den 1970er und bis in die 1990er Jahre sowohl politisch als auch wissenschaftlich eine gro§e Rolle spielte.[4]