Abschaffung des Integrationsbegriffs?

Das Modell monistischer Assimilation mit einer mehr oder weniger fest vorgegebenen Stufenfolge der Anpassung von Migranten an die jeweilige Ankunftsgesellschaft wird seit Jahrzehnten gesellschaftspolitisch und auch wissenschaftlich kritisch diskutiert, und zwar in allen LЉndern, in denen Migration und Integration eine wichtige Rolle im gesellschaftlichen Leben spielen. Gegen dieses Modell wird eingewendet, dass es letztlich auf einem extrem funktionalistischen VerstЉndnis basiere: Gesellschaften werden Р ganz im Sinne des US-amerikanischen Soziologen Talcott Parsons (1972) Р als mehr oder weniger nach au§en geschlossene und nach innen ausdifferenzierte Funktionssysteme verstanden, die џber gemeinsame Wertsysteme und Kultur integriert werden. Gesellschaftliche Integration wir dabei hЉufig in die zwei von David Lockwood vorgeschlagenen Aspekte der Sozialintegration und der Systemintegration differenziert:

гWЉhrend beim Problem der sozialen Integration die geordneten oder konfliktgeladenen Beziehungen der Handelnden eines Systems zur Debatte stehen, dreht es sich beim Problem der Systemintegration um die geordneten oder konfliktgeladenen Beziehungen zwischen den Teilen eines sozialen Systems.Т (Lockwood 1970: S. 125).

Im Hinblick auf Einwanderer findet Sozialintegration dann als individuelle Sozialintegration џber deren subjektiv erfahrenen und erfahrbaren Einbezug in die verschiedenen gesellschaftlichen Bereiche wie Bildung, Arbeitsmarkt, Freizeit, Vereinswesen und politische Parteien und als kategoriale Sozialintegration џber deren erfahrene Zugehљrigkeit zu Bezeichnungskategorien, die fџr das jeweilige Sozialsystem als Ganzes gelten, statt. Indem Migranten bzw. deren Nachkommen also z.B. als Studierende in Seminaren teilnehmen, als BeschЉftigte in einem Unternehmen arbeiten, als Mittelfeldspieler in einem Fu§ballclub aktiv sind, werden bzw. sind sie auf der Ebene individueller Handlungen sozial integriert. Indem sie als MЉnner oder Frauen, Jџngere oder Ђltere, religiљs oder laizistisch orientierte Menschen, als BЉcker oder Bandarbeiter, als aus einem bestimmten Land oder aus einem anderen kommend von anderen Menschen wahrgenommen werden und sich selbst wahrnehmen, werden bzw. sind sie kategorial sozial integriert. Denn es sind diese fџr sie selbst und ihre Interaktionspartner gџltigen und mobilisierten Bezeichnungen und Kategorien, durch die sie kategorial in grљ§ere und komplexere Gruppen (z.B. der MЉnner oder Alten oder Fu§ballspieler) integriert werden.

Systemintegration dagegen bezieht sich auf die Integration sozialer Gruppen, Teilbereiche und Subsysteme von Gesellschaft џber soziale Mechanismen, die nicht auf das intentionale Handeln der Individuen zurџckzufџhren sind, sondern jenseits direkter und koprЉsenter Handlungssituation џber lЉngere Abschnitte von Raum und Zeit hinweg Р z.B. als soziale Institutionen und вnicht beabsichtige Folgen absichtsvollen HandelnsФ Р wirksam sind. So kљnnen sich z.B. Einwanderer in einem Migranten-Elternverein zusammenschlie§en und fџr eine bessere vorschulische deutsche Sprachausbildung ihrer Kinder einsetzen, oder eine Gruppe von Fu§ballinteressierten, die aus einem bestimmten Dorf in der Tџrkei nach Deutschland migriert sind, kann eine eigene Fu§ballmannschaft grџnden und in der Kreisklasse in ihrem Ankunftsort aktiv mitspielen. Diese Gruppenbildungen kљnnen jenseits ihrer unmittelbaren sozialintegrativen Bedeutung fџr die direkt Handelnden auch systemintegrativ relevant sein, weil bzw. wenn sie personen- und situationsџbergreifende Verbindungen, Mechanismen und Strukturen gleichsam als neue Teile der gesellschaftlichen Systemarchitektur zur Folge haben.[5]

Gelungene Integration setzt nach dem Modell der monistischen Assimilation voraus, dass das Sozialsystem, in das hinein integriert werden soll, tatsЉchlich ein in sich weitgehend stabiles, geschlossenes und homogenes Funktionssystem ist. Nur dann lassen sich Stufen der schrittweisen Anpassung denken, an deren Erklimmen der Grad der Integration gemessen werden kann. Nur wenn man die Ankunftsgesellschaft tatsЉchlich als einheitliches, in sich stabiles und auf normativer Integration џber geteilte Werte beruhendes funktional differenziertes Sozialsystem versteht, kann bzw. kљnnte es gerechtfertigt werden, die Entwicklung einer вnegativen Einstellung zur HerkunftsgesellschaftФ Р und damit zu einem Teil des eigenen Selbst Р als Integrationsfortschritt zu interpretieren! Entsprechend wird das monistische Assimilationskonzept als funktionalistisch und normativ aufgeladen kritisiert (z.B. Amelina 2008: 8, 12; Anthias et al. 2012: 2). Im Hinblick auf die kategoriale Sozialintegration als das Aufgehen der Selbst- und Fremdzuschreibungen der Einwanderer in den gesellschaftlich dominanten bzw. akzeptierten Klassifizierungen und Zugehљrigkeiten der Ankunftsgesellschaft wird das monistische Assimilationsmodell wegen seiner normativen und soziologisch naiven Sichtweise kritisiert: Alle sozial relevanten Kategorien und Klassifizierungen sind gesellschaftlich konstruiert und spiegeln immer MachtverhЉltnisse wider. Dies gilt fџr ethnische Gruppenbildungen ebenso wie fџr religiљse oder nationale Zuschreibungen (fџr die USA vgl. Hollinger 2000: 23ff; fџr verschiedene europЉische LЉnder vgl. Pries 2013a; allgemein vgl. Yuval Davis 2011; White 2012).

In der Tradition der neueren postkolonialen und konstruktivistischen Kritik an Integrationskonzepten steht in Deutschland eine Initiative, die sich im Jahre 2010 vor dem Hintergrund der sogenannten Sarrazin-Debatte unter dem Motto гDemokratie statt IntegrationТ grџndete. Einen entsprechenden Aufruf unterzeichneten џber 3.800 Personen, zum grљ§ten Teil Menschen, die in Praxis, Politik oder Wissenschaft mit Fragen von Migration und Integration befasst sind. Darunter befinden sich auch etwa 70 Professorinnen und Professoren. Die Initiative hЉlt den Integrationsbegriff fџr џberflџssig und plЉdiert fџr dessen Abschaffung:

гWir leben in einer Einwanderungsgesellschaft. Das bedeutet: wenn wir џber die VerhЉltnisse und das Zusammenleben in dieser Gesellschaft sprechen wollen, dann mџssen wir aufhљren, von Integration zu reden. Integration hei§t, dass man Menschen, die in diesem Land arbeiten, Kinder bekommen, alt werden und streben, einen Verhaltenskodex aufnљtigt, bevor sie gleichberechtigt dazu gehљren. Aber Demokratie ist kein Golfclub. Demokratie hei§t, dass alle Menschen das Recht haben, fџr sich und gemeinsam zu befinden, wie sie miteinander leben wollen. Die Rede von der Integration ist eine Feindin der Demokratie. (Й)

Wenn Integration irgendetwas bedeuten kann, dann doch nur, dass alle drin stecken.Т[6]

Die Absichten der Unterzeichner des Aufrufs werden vor dem Hintergrund der sehr kontrovers gefџhrten Diskussionen џber die wissenschaftlich nicht haltbaren, populistischen und ethnisierenden Kategorisierungen in den Sarrazin-Thesen nachvollziehbar (Hess et al. 2009; Foroutan 2010; Bade 2013). In vielen Gesellschaften werden scheinbar neutrale, scheinbar biologisch fundierte oder scheinbar вrein natџrlicheФ Kategorien mobilisiert, um bestimmte Definitionen und Interpretationen der gesellschaftlichen Wirklichkeit durchzusetzen. Solche Bezeichnungspolitiken kљnnen gezielt entwickelt werden, um bestimmte Menschengruppen zu diskriminieren und zu marginalisieren. Dies hat es immerzu in allen Gesellschaften in unterschiedlichen Formen gegeben. Im Mittelalter wurden bestimmte Merkmale (rote Haare) und Praktiken (Heilen mit KrЉutern und anderem Wissen) von bestimmten sozialen Gruppen gezielt in das Zentrum gesellschaftlicher Aufmerksamkeit hinein konstruiert, um spezifische Gruppen von Frauen als Hexen zu verbrennen. Der Kolonialismus hat Р mit Billigung und Absolution der christlichen Kirchen Р Menschen bestimmter Hautfarbe als вUntermenschenФ ohne gleiche Rechte zur Handelsware gemacht. Der Nationalsozialismus hat die Kategorien Jude, Homosexueller und Kommunist geschaffen und diese und weitere mit Farbsymbolen, juristischen und sozialen Normen versehen, um die entsprechend etikettierten Menschen zu vernichten.

Neben dieser Tradition von Bezeichnungspolitiken zum Zwecke der Diskriminierung, Marginalisierung oder gar Auslљschung bestimmter Menschengruppen gibt es aber auch eine andere Tradition. Hollinger (2000: 32) nennt sie вaufgeklЉrten RassismusФ und meint damit z.B. die Schaffung und zunehmende Ausdifferenzierung bestimmter amtlicher Kategorien von Hautfarben in den USA wie dem вPentagonФ der fџnf offiziellen вRassenФ: schwarz, wei§, rot, gelb und braun. гThe most immediate force behind the creation of the pentagon has been the antidiscrimination and affirmative action policies of the federal government.Т (ebd.). Um rassische Diskriminierungen auf dem Arbeitsmarkt, beim Wohnen oder WЉhlen aufdecken zu kљnnen, mџssen Informationen zur Kategorie вRasseФ gesammelt, ausgewertet und fџr gesellschaftliche Diskussionen und politische Ma§nahmen genutzt werden. Um eine mљgliche systematische Ungleichbehandlung von Menschen mit bestimmten Merkmalen џberhaupt zu erkennen und dann auch reduzieren oder abschaffen zu kљnnen, werden Informationen џber das Vorkommen und die Verteilung dieser Merkmale benљtigt.

Wie mit einer im Sinne des вaufgeklЉrten RassismusФ einmal geschaffenen Kategorie dann in der Gesellschaft umgegangen wird, entzieht sich in aller Regel als вnicht beabsichtigte Folgen absichtsvollen HandelnsФ dem Einfluss der Konstrukteure dieser Kategorie. Deshalb aber Kategorienbildungen џberhaupt abzulehnen und in dem hier interessierenden Zusammenhang gar ganz auf den Integrationsbegriff und entsprechende Operationalisierungen zu verzichten, erscheint aber weder realistisch noch zielfџhrend. Wer aus einer berechtigten Kritik an den Sarrazin-Thesen und den damit verbundenen Negativ-Ethnisierungen auf migrations- und integrationsspezifische Bezeichnungspolitiken generell verzichten mљchte, der schџttet gleichsam das Kind mit dem Bade aus.

Eine solche Strategie ist unrealistisch, weil alle Menschen, Menschengruppen und Gesellschaften sich џber Unterscheidungen von вWirФ und вdie AnderenФ definieren. Gesellschaft Р selbst noch verstanden als Weltgesellschaft aller Menschen Р basiert immer auf Inklusions- und Exklusionsregeln, z.B. auf einer Definition von Menschsein (relevant bei der Frage, wann menschliches Leben beginnt und aufhљrt), von Staatsbџrgerschaft oder Staatsangehљrigkeit sowie von weiteren Teilhaberechten und Рpflichten, die an bestimmte Merkmale gebunden sind. Prozesse der individuellen und kollektiven Selbst- und Fremdzuschreibungen finden immer statt, sie sind unausweichlich. Ebenso existierten und existieren immer soziale Differenzierungen und Unterscheidungen sozialer Ungleichheit und sozialer Ungleichwertigkeit.

Ethnische Mobilisierungen kљnnen als ausgrenzende Fremdzuschreibungen wirken wie z.B. die hЉufig pauschale Assoziation des Islam mit вnichteuropЉischer AndersartigkeitФ oder gar mit Sicherheitsbedrohung, wie dies vor allem nach dem 11. September 2001 der Fall war (Rosenow-Williams 2012). Umgekehrt kљnnen ethnische Kategorisierungen auch als Selbstzuschreibungen stattfinden, etwa um politische Gelegenheitsstrukturen auszunutzen. Ein Beispiel ist die Selbstdefinition der Aleviten in Deutschland. Die Mehrheit der sich selbst als Aleviten bezeichnenden und in entsprechenden Vereinigungen verbundenen Menschen sahen sich in Deutschland vor die Herausforderung gestellt zu entscheiden, ob das Alevitentum als eine ethnische, eine kulturell-philosophische oder eine Religionsgemeinschaft angesehen werden sollte. Nach umfangreichen Debatten Љnderte der Dachverband Alevitische Gemeinde Deutschland e.V. (AABF) seine Statuten im Jahre 2002 und Љnderte sein SelbstverstЉndnis bzw. seine Selbstkategorisierung von вdemokratischer MassenorganisationФ zu вReligionsgemeinschaftФ. Ein wesentlicher Grund fџr diese Ђnderung war die Mљglichkeit, als Religionsgemeinschaft staatliche Anerkennung und Zugang zu weiter gehenden Teilhaberechten zu bekommen (Pries/Tuncer-Zengingџl 2013).

Ganz anders als in Deutschland ist die Tradition der migrations- und integrationsrelevanten Bezeichnungen z.B. in Frankreich, Gro§britannien, den USA oder den Niederlanden. In Frankreich dominiert ein republikanisch-egalitЉres GesellschaftsverstЉndnis, welches Fragen nach ethnischer oder religiљser Zugehљrigkeit lange Zeit aus dem љffentlichen Leben (und auch aus der amtlichen Statistik) weitgehend in die geschџtzte PrivatsphЉre verbannte. Systematische Benachteiligungen von Einwanderern z.B. aus den Maghreb-Staaten konnte mithilfe der amtlichen Statistik kaum analysiert werden, weil schon eine Erhebung von so etwas wie вMigrationsgeschichteФ oder вEinwanderungshintergrundФ dem egalitЉren Citoyen-Prinzip widersprach. Ђhnliches gilt fџr die lange Zeit nicht diskutierte Frage der Religionszugehљrigkeit Р diesbezџglich wurde seit den 1990er Jahren vor allem von der rechtspopulistischen Le-Pen-Partei nicht Religionszugehљrigkeit allgemein, wohl aber Zugehљrigkeit zum Islam als ein neues Unterscheidungsmerkmal im љffentlichen Diskurs etabliert (Altglas 2010). Trotz aller republikanischen Tradition der Nicht-Behandlung von Glaubens-, Religions- und ethnischen Unterscheidungen im љffentlichen Raum gewann in der politischen Auseinandersetzung der letzten zwei Jahrzehnte auch eine neue Differenzierung der Staatsbџrgerschaft enorm an Bedeutung, die nicht zuletzt systematisch vom ehemaligen PrЉsidenten Sarkozy verwendet wurde (Wihtol de Wenden et al. 2013): die Kategorisierung zwischen вdenjenigen Franzosen, die es (die Staatsbџrgerschaft, L.P.) verdient habenФ (вжtre franЌais, cela se mЋriteФ) und вden Franzosen nach PapierlageФ (вles FranЌais de papierФ).

In den USA diente die WASP-Kategorie (White-Anglo-Saxon-Protestant) lange Zeit zur Bezeichnung einer Bevљlkerungsgruppe, die sich џber Hautfarbe, Glauben und Herkunftsregion bestimmte und einen Zuschreibungsmechanismus hinsichtlich begehrter gesellschaftlicher Positionen beschrieb. In den Niederlanden hat sich nach Jahrzehnten eines dominant multi-kulturellen IntegrationsverstЉndnisses eine im politischen Diskurs durchaus sehr problematische Unterscheidung von вAllochthonenФ und вAutochthonenФ festgesetzt (Doomernik 2013). In Gro§britannien haben sich џber das letzte Vierteljahrhundert die in den offiziellen VolkszЉhlungen abgefragten personenbezogenen Merkmale zahlenmЉ§ig erweitert und intern ausdifferenziert (Hautfarbe, gesprochene Sprachen, Herkunftsland, ethnische und nationale Selbstzuschreibung, Religion; vgl. Green/Skeldon 2013). In Deutschland hatte das neue Merkmal вMensch mit bzw. ohne MigrationshintergrundФ, die zum ersten Mal fџr die Mikrozensuserhebung des Jahres 2005 eingefџhrt wurde, erhebliche Auswirkungen fџr die gesellschaftspolitische und die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Migration und Integration (Pries 2013b). WЉhrend einerseits z.B. die Bildungserfolge und die Arbeitsmarktlagen von Einwanderern und deren Nachkommen mit dieser neuen Kategorie wesentlich genauer analysiert werden konnten (vgl. z.B. Gresch/Kristen 2011), sahen sich andererseits plљtzlich Millionen von Menschen einem neuen Kriterium des вAndersseinsФ zugeordnet, welches џberwiegend als Defizit- bzw. Problemkategorie wahrgenommen wurde.[7]

Neue Bezeichnungspolitiken kљnnen also sowohl Stigmatisierung und Marginalisierung, als auch eine bessere Analyse von Teilhabestrukturen und Рchancen erљffnen. Wer das eine Extrem Р das Modell der monistischen Assimilation Р ablehnt, muss nicht unbedingt in das andere Extrem Р die generelle Ablehnung des Integrationsbegriffs Р verfallen. Die Initiative вDemokratie statt IntegrationФ, der sich ein nicht unerheblicher Teil der sogenannten kritische Migrationsforschung zugehљrig fџhlt, ist mit der Forderung nach Abschaffung des Integrationsbegriffs weit џber das Ziel hinausgeschossen. Migrations- und integrationsbezogene Begriffe und Kategorien werden weiterhin benљtigt, nicht zuletzt, um systematische Chancenungleichverteilungen, die sich z.B. aus der Migrationsgeschichte, aus Religionszugehљrigkeiten, aus Geschlechterorientierungen und -zugehљrigkeiten oder aus ethnischen Selbst- und Fremdzuschreibungen ergeben kљnnen, analysieren zu kљnnen.

Gesellschaftliche Probleme und Herausforderungen Р das zeigt das Beispiel der џber Jahrzehnte erfolgten weitgehenden Tabuisierung migrationsbezogener Chancenungleichheiten in Frankreich Р werden nicht dadurch kleiner oder gar gelљst, dass sie ignoriert, mit einem Schleier der Nichtbezeichnung zugedeckt werden. Die Sozialwissenschaften haben zu untersuchen, ob und wie soziale Ungleichheiten im Sinne unterschiedlich verteilter Teilhabechancen an den wichtigen gesellschaftlichen Lebensbereichen systematisch mit spezifischen sichtbaren oder unsichtbaren, selbst- oder fremdzugeschriebenen, sozial konstruierten Merkmalen wie Geschlecht, EthnizitЉt, Religion, Alter etc. zusammenhЉngen. Prozesse der Privilegierung, der Bildung von вSolidaritЉtskernenФ, der wechselseitigen BestЉtigung der MЉchtigen, aber auch der Ausgrenzung, der Diskriminierung und der Marginalisierung finden sich in allen Gesellschaften und Menschengruppen. Sie werden dann zu einem Problem fџr gesellschaftlichen Zusammenhalt, wenn sie dauerhaft und systematisch nach bestimmten sozial konstruierten Merkmalen strukturiert sind, deren LegitimitЉt von erheblichen Teilen der Zusammenlebenden angezweifelt wird.

Das Motto вDemokratie statt IntegrationФ entspricht einer zweifelhaften Entweder-Oder-MentalitЉt. вDemokratie durch IntegrationФ, вIntegration durch DemokratieФ oder auch вDemokratie als IntegrationФ kљnnten fruchtbare Alternativen sein. Integration sollte dabei nicht auf dem Gedanken monistischer Assimilation aufbauen, sondern Р wie im Folgenden gezeigt wird Р von dem Gedanken der mљglichst chancengleichen Teilhabe aller Menschen an den als wichtig erachteten Teilbereichen eines gesellschaftlichen Lebenszusammenhangs getragen sein.