Der Verfasser gibt die Quellen an

Der Millionär als künstlerisches Motiv

Millionäre sind aus der Mode gekommen. Sogar die Filmkritiker behaupten es. Und das gibt zu denken.

Sie schreiben, man könne betresste Diener, parkähnliche Gärten und pompöse Villen nicht länger ersehen. Man habe genug von echten Tizians an den Wänden, genug auch von Aktienpaketen in den Tresors - und Festlichkeiten mit mehr als zwanzig, womöglich elegant gekleideten Gästen zu zeigen, sei eine Zumutung ohnegleichen.

Nun las ich neulich im Blatt, es gebe immer noch Millionäre.

Ich habe keine Gelegenheit, die Glaubwürdigkeit dieser Nachricht nachzuprüfen. Unter meinen Bekannten befindet sich jedenfalls kein Millionär. Doch das kann Zufall sein. Es beweist noch nichts.

In England, so stand in der Zeitung, gebe es mehr als zweihundert ordnungsgemäß gemeldete Einwohner, deren jeder über mindestens eine Million Pfund Sterling verfüge. Und in anderen Ländern sei es ähnlich.

Aus welchem Grunde sind dann aber die Millionäre aus der Mode gekommen? Weshalb ist man dagegen, dass sie und ihre kostspielige Umgebung sich auf der Leinwand und im Roman widerspiegeln?

Ja, wenn sich's um gefährliche Wesen und um verbotene Dinge handelte, ließe sich die Abneigung verstehen! Das Radfahren auf der verkehrten Straßenseite beispielsweise ist gefährlich und verboten; und so wäre es in der Tat höchst unpassend, als Maler oder Schriftsteller etwas Derartiges zu. wiederholen, indem man's darstellt. Das leuchtet ein.

Einbrüche und Raubüberfälle sind als künstlerische Motive ebenfalls ungeeignet. Denn auch in der Wirklichkeit sind sie, außer bei die Dieben selber, kaum erwünscht.

Aber die Millionäre? Sind sie verboten? Oder sind sie gar gefährlich? Weit gefehlt! Sie zahlen Steuern. Sie beschaffen Arbeit. Sie treiben Luxus. Sie sind wesentliche Bestandteile von Staat und Gesellschaft.

Als ich neulich las, dass es noch immer Millionäre gebe, las ich aber auch, ihre Zahl sei im Schwinden begriffen. Und vielleicht führt dieser Hinweis zu jener Antwort, die ich suche. - Sicher hat der Leser gelegentlich zum Himmel emporgesehen, während die Sonne hinterm Horizont versank. Wenige Minuten, nachdem sie untergegangen ist, beginnen plötzlich die westlichen Wolken zu glühen. Sie erröten. Einsam leuchten sie über der grauen, dämmernden Welt.

Die Wolken schimmern rosarot, aber die Sonne versank. Sollten die Millionäre jenen Wolken gleichen? Sollten sie der Abglanz einer Zeit sein, die schon untergegangen ist? Sollten sie deshalb aus der Mode gekommen sein?

Um es kurz zu machen: Ich weiß es nicht.

 

Das zweite Vorwort

Der Verfasser gibt die Quellen an

Obwohl die Millionäre aus der Mode gekommen sind und obwohl ich nicht einmal genau weiß warum, ist, dessen ungeachtet, die Hauptfigur dieses Buchs ein Millionär. Das ist nicht meine Schuld. Sondern es kam so:

Mein Freund Robert und ich fuhren vor einigen Monaten nach Bamberg, um uns den dortigen Reiter anzusehen. Den Bamberger Reiter.

Elfriede, eine junge Kunsthistorikerin, hatte Robert mitgeteilt, dass sie nur einen Mann heiraten werde, der den Bamberger Reiter kenne.

Ich hatte meinem Freunde daraufhin einen ausgezeichneten Rat gegeben. Hätte er ihn beherzigt, wären wir billiger davongekommen. Aber er war dagegen gewesen. Vor der Hochzeit dürfe man seine Frau nicht schlagen. Eine veraltete Ansicht, wie man zugeben wird. Doch er bestand darauf. Und schließlich war es seine Braut, nicht meine.

So fuhren wir nach Bamberg.

(Ich möchte an dieser Stelle vorausschicken, dass sich die Kunsthistorikerin Elfriede während unserer Abwesenheit mit einem Zahnarzt verlobte. Er kannte den Bamberger Reiter übrigens auch nicht. Stattdessen verabfolgte er ihr eine Maulschelle. Man nennt das, glaube ich, seelische Kompensation. Daraufhin war ihm Elfriede um den Hals gefallen. So sind die Frauen. Doch das wussten wir damals noch nicht.)

In unserem Abteil saß ein älterer Herr. Er hatte Gallensteine. Man sah es ihm nicht an. Aber er sprach darüber. Er sprach überhaupt sehr viel. Und bevor er, hinter Leipzig, aufstand, um im Speisewagen eine Tasse Kaffee zu trinken, erzählte er uns haarklein jene wahre Geschichte, die den Inhalt des vorliegenden Buches bilden wird und deren Hauptfigur, es ist nicht zu ändern, ein Millionär ist.

Als der ältere Herr das Abteil verlassen hatte, sagte Robert: «Übrigens ein ausgezeichneter Stoff.»

«Ich werde einen Roman daraus machen», entgegnete ich.

«Du irrst», meinte er gelassen. «Den Roman schreibe ich.»

Wir musterten einander streng. Dann erklärte ich herrisch: «Ich mache einen Roman daraus, und du ein Theaterstück. Der Stoff eignet sich für beide Zwecke. Außerdem ist ein Lustspiel halb so umfangreich wie ein Roman. Du siehst, ich will dir wohl.»

Nein. Das Stück möge gefälligst ich schreiben.

Nein. Ich verstünde nichts von Lustspielen.

Das stimme, sei aber kein Hindernis.

Wir schwiegen. Dann sagte mein Freund Robert: «Wir werden einen Groschen hochwerfen. Ich nehme Wappen.» Er warf die Münze hoch. Sie fiel auf die Bank.

«Hurra!» rief ich. «Zahl!»

Nun hatten wir jedoch vergessen, vorher auszumachen, was eigentlich entschieden werden solle. «Wir wiederholen das Experiment», schlug ich vor. «Wer gewinnt, schreibt den Roman.»

«Diesmal nehme ich Zahl», sagte Robert. (Er hat seine Schattenseiten.)

Ich warf den Groschen hoch. Er fiel zu Boden. «Hurra!» rief ich. «Wappen!»

Robert blickte tieftraurig zum Fenster hinaus. «Ich muss ein Lustspiel schreiben», murmelte er. Er tat mir fast leid.

Nun kam der ältere Herr mit den Gallensteinen wieder ins Abteil. «Eine Frage, mein Herr», sagte ich. «Wollen Sie die Geschichte von dem Millionär künstlerisch gestalten? Was sind Sie von Beruf?»

Er antwortete, er sei Geflügelhändler. Und er denke nicht daran, Bücher oder Stücke zu verfassen. Möglicherweise könne er's gar nicht.

Dann wollten wir es für ihn tun, erklärten wir.

Er bedankte sich. Später fragte er, ob wir es ihm gestatteten, die Geschichte nach wie vor in Eisenbahnkupees zu erzählen.

Ich sagte: «Wir gestatten es.» Er bedankte sich noch einmal. An der nächsten Station stieg er aus. Er winkte uns nach.

 

*

Nachdem wir den Bamberger Reiter eingehend besichtigt hatten, kehrten wir nach Berlin zurück. Die Kunsthistorikerin Elfriede stand am Anhalter Bahnhof und stellte uns ihren neuen Bräutigam vor. Robert war erschüttert. Der Zahnarzt sagte, er sei ihm eine Revanche schuldig, und lud uns zu einem Umtrunk ein. Seine Braut schickte er nach Hause. Das Weib gehöre an den Herd, meinte er streng. Elfriede sagte einiges über den Stilwandel in der Ehe und über die zyklische Polarität. Dann erklomm sie den Autobus. Und das war die Hauptsache. Wenn eine Frau gehorcht, darf sie sogar gebildet sein.

Wir drei Männer stiegen in eine unterirdische Weinkneipe, und nach vier Stunden hatten wir zahlreiche Zucken in der Krone. Ich weiß nur noch, dass wir dem Zahnarzt versprachen, zu seiner Hochzeit Blumen zu streuen. Da begann er laut zu weinen.

Später heulte auch Robert. «Ich muss ein Lustspiel schreiben», stammelte er. «Und der Dentist heiratet Elfriede und hat nicht einmal den Bamberger Reiter gesehen.»

«Du bist eben ein Glückspilz», sagte der Zahnarzt schlagfertigt. Und dann brachten wir Robert nach Hause. Ich legte ihm Papier und Bleistift zurecht, damit er am nächsten Morgen unverzüglich mit dem Theaterstück beginnen könne. «Sublimiere den Schmerz, o Robert, und dichte!» schrieb ich auf einen Zettel. Nichts weiter.

Wir Künstler sind kalte, hartherzige Naturen.

 

*

Seitdem ging die Zeit ins Land. Der Zahnarzt hat Elfriede geheiratet. Robert hat das Stück geschrieben. Und ich den Roman.

Gern hätten wir dem Herrn mit den Gallensteinen unsere Werke gewidmet. Denn ihm verdanken wir ja den Stoff. Aber wir vergaßen damals in der Eisenbahn, nach seinem Namen zu fragen. Deshalb:

Sehr geehrter Herr! Sollten Sie Roberts Stück sehen oder dieses Buch lesen, so erinnern Sie sich unser, bitte, nicht ohne Wohlwollen! Und wenn Sie wieder einmal einen hübschen Stoff wissen, schreiben Sie uns ganz einfach eine Karte! Ja?

Eigne Einfalle sind so selten. Wir kommen ins Haus.

NB. Das Porto würden wir Ihnen selbstverständlich rückvergüten.

 

 

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