Dienstboten unter sich und untereinander

Machen Sie nicht so viel Krach!» sagte Frau Kunkel, die Hausdame. «Sie sollen kein Konzert geben, sondern den Tisch decken.»

Isolde, das neue Dienstmädchen, lächelte fein.

Frau Kunkels Taftkleid knisterte. Sie schritt die Front ab. Sie schob einen Teller zurecht und zupfte an einem Löffel.

«Gestern gab es Nudeln mit Rindfleisch», bemerkte Isolde melancholisch. «Heute weiße Bohnen mit Würstchen. Ein Millionär sollte eigentlich einen eleganteren Appetit haben.»

«Der Herr Geheimrat isst, was ihm schmeckt», sagte Frau Kunkel nach reiflicher Überlegung.

Das neue Dienstmädchen verteilte die Mundtücher, kniff ein Auge zu, das getroffene Arrangement zu überprüfen, und wollte sich entfernen.

«Einen Augenblick noch!» meinte Frau Kunkel. «Mein Vater, Gott hab ihn selig, pflegte zu sagen: ,Auch wer morgens dreißig Schweine kauft, kann mittags nur ein Kotelett essen.' Merken Sie sich das für Ihren ferneren Lebensweg! Ich glaube kaum, dass Sie sehr lange bei uns bleiben werden.»

«Wenn zwei Personen dasselbe denken, darf man sich etwas wünschen», sagte Isolde verträumt.

«Ich bin keine Person!» rief die Hausdame. Das Taftkleid zitterte.

Dann knallte die Tür.

Frau Kunkel zuckte zusammen und war allein. -Was mochte sich Isolde gewünscht haben? Es war nicht auszudenken!

*

Das Gebäude, von dessen Speisezimmer soeben die Rede war, liegt an jener alten, ehrwürdigen Allee, die von Halensee nach Hundekehle führt. Jedem, der die Straße auch nur einigermaßen kennt, wird die Villa aufgefallen sein. Nicht weil sie noch größer wäre, noch feuervergoldeter und schwungvoller als die anderen.

Sie fällt dadurch auf, dass man sie überhaupt nicht sieht.

Man blickt durch das zweihundert Meter lange Schmiedegitter in einen verschneiten Wald, der jegliche Aussage verweigert. Wenn man vor dem von ergrauten Steinsäulen flankierten Tore steht, sieht man den breiten Fahrweg und dort, wo er nach rechts abbiegt, ein schmuckloses, freundliches Gebäude: das Gesindehaus. Hier wohnen die Dienstmädchen, die Köchin, der Chauffeur und die Gärtnersleute. Die Villa selber, die toten Tennisplätze, der erfrorene Teich, die wohltemperierten Treibhäuser, die unterm Schnee schlafenden Gärten und Wiesen bleiben unsichtbar.

An der einen grauen Säule, rechts vom Torgitter, entdeckt man ein kleines Namensschild. Man tritt näher und liest: Tobler.

Tobler? Das ist bestimmt der Millionär Tobler. Der Geheimrat Tobler. Der Mann, dem Banken, Warenhäuser und Fabriken gehören. Und Bergwerke in Schlesien, Hochöfen an der Ruhr und Schifffahrtslinien zwischen den Kontinenten.

Die Epoche der Wirtschaftskonzerne ist vorbei. Der Toblerkonzern lebt noch. Tobler hat sich, seit er vor fünfzehn Jahren den Herrn Onkel beerbte, um nichts gekümmert. Vielleicht liegt es daran. -Konzerne gleichen Lawinen. Sie werden größer und größer: Soll man ihnen dabei helfen? Sie enden im Tal: Kann man's verhindern?

Tobler besitzt viele Millionen. Aber er ist kein Millionär.

*

Frau Kunkel studierte die Morgenzeitung.

Johann, der Diener, trat ins Speisezimmer. «Tun Sie nicht so, als ob Sie lesen könnten!» sagte er unwillig. «Es glaubt Ihnen ja doch kein Mensch.»

Sie schoss einen vergifteten Blick ab. Dann wies sie auf die Zeitung. «Heute stehen die Preisträger drin! Den ersten Preis hat ein Doktor aus Charlottenburg gekriegt, und den zweiten ein gewisser Herr Schulze. Für so'n paar kurze Sätze werden nun die beiden Männer auf vierzehn Tage in die Alpen geschickt!»

«Eine viel zu geringe Strafe», erwiderte Johann. «Sie gehörten nach Sibirien. Um was handelt sich's übrigens?»

«Um das Preisausschreiben der Putzblank-Werke.»

«Ach so», sagte Johann, nahm die Zeitung und las das halbseitige Inserat. «Dieser Schulze! Er hat keine Adresse. Er wohnt postlagernd!»

«Man kann postlagernd wohnen?» fragte Frau Kunkel. «Ja, geht denn das?»

«Nein», erwiderte der Diener. «Warum haben Sie sich eigentlich nicht an dem Preisausschreiben beteiligt? Sie hätten bestimmt einen Preis gekriegt.»

«Ist das Ihr Ernst?»

«Man hätte Sie auf zwei Wochen in die Alpen geschickt. Vielleicht hätten Sie sich einen Fuß verstaucht und wären noch länger weggeblieben.» Er schloss genießerisch die Augen.

«Sie sind ein widerlicher Mensch», meinte sie. «Ihretwegen bräche ich mir nicht einmal das Genick.»

Johann fragte: «Wie macht sich das neue Dienstmädchen?»

Frau Kunkel erhob sich. «Sie wird bei uns nicht alt werden. Warum heißt die Person eigentlich Isolde?»

«Die Mutter war eine glühende Verehrerin von Richard Wagner», berichtete Johann.

«Was?» rief die Hausdame. «Unehelich ist diese Isolde auch noch?»

«Keine Spur. Die Mutter war verheiratet.»

«Mit Richard Wagner?»

«Aber nein.»

«Warum wollte er denn, dass das Kind Isolde heißen sollte? Was ging ihn das an?»

«Richard Wagner hatte doch keine Ahnung von der Geschichte. Fräulein Isoldes Mutter wollte es.»

«Und der Vater wusste davon?»

«Selbstverständlich. Er liebte Wagner auch.»

Frau Kunkel ballte die gepolsterten Hände. «Ich lasse mir allerlei gefallen», sagte sie dumpf. «Aber das geht zu weit!»

 

Das zweite Kapitel