Straight Edge [engl.] (gerader Weg; Bewegung, deren Anhänger auf Alkohol, Tabak und Drogen verzichten); Thomas, 23, auf Usedom will morgens ohne Kater aufwachen

Warum verzichten manche Jugendliche auf Alkohol und Zigaretten? Warum laufen manche ganz in Schwarz durch die Welt? Und gegen was revoltieren die jungen Hippies von heute? Das Jugendmagazin "Spiesser" wollte es wissen - und lässt acht Anhänger von Jugendkulturen ihre Szene vorstellen.

"Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein", schmetterte die Band Tocotronic Mitte der Neunziger Jahre. Den Wunsch teilen die Rocker mit vielen Jugendlichen - doch nur eine Minderheit schließt sich tatsächlich einer Szene an. Jeder fünfte Jugendliche sagt von sich, einer Jugendbewegung aktiv anzugehören.

Dafür hat diese Minderheit eine enorme Strahlkraft: Sieben von zehn Jugendlichen sagen, dass sie sich an einer Jugendkultur orientieren, weil sie etwa deren Musik hören. Die Orientierung wird allerdings zunehmend schwer: "Jugendkulturen werden kleinteiliger und schnelllebiger", sagte Klaus Farin, Szenekenner aus Berlin, im Interview mit SPIEGEL ONLINE.

Das Magazin "Spiesser" hat sich auf die Suche gemacht nach Vertretern von acht Jugendkulturen, die dem von Farin beschriebenen Trend trotzen: Die Punkerin Nika etwa erzählt, gegen was sie rebelliert. Isabell sagt, was es heißt, heute ein Hippie zu sein. Und Daniel erklärt, dass er eher selten Blut trinkt, auch wenn das manche Leute von ihm denken, wenn sie ihn sehen.

Alle sagen ungefiltert ihre Meinung - und nennen die Liedzeilen ihres Lebens. So unterschiedlich ihre Ziele und Geschmäcker sind, eines haben sie gemeinsam: Sie lassen sich nicht reinreden, nicht von Eltern, nicht von Oma, nicht von Modeketten.

 

Gabriel

Emo, kurz für Emotional Hardcore [engl.] (Subgenre des Hardcore-Punk mit starker Betonung von Gefühlen und zwischenmenschlichen Themen); Gabriel, 20, aus Berlin muss seine Männlichkeit nicht ständig unter Beweis stellen.

Es ist nicht so, dass ich ständig weinend in der Ecke sitze. Trotzdem bin ich Emo. Aber nicht, weil ich mit meinen Gefühlen nicht klarkomme. Mir gefällt einfach der Stil: enge Klamotten, schwarz gefärbte, längere Haare, die ins Gesicht fallen. Einige Jungs schminken sich, das wäre mir zu anstrengend. Aber klar, der Begriff Emo wird oft abwertend genutzt.

Dass mir jemand "Iiih, guck mal ein Emo" hinterher ruft, passiert mir bestimmt ein oder zwei Mal die Woche. Naja, ich glaube, manche brauchen einfach ihre Feindbilder, um mit sich selbst klarzukommen. Dabei denke ich, dass jeder Jugendliche sich irgendeine Sparte sucht. Selbst "nichts sein" ist schon zur Gruppe geworden.

In meinem nahen Umfeld bin ich aber auf wenig Unverständnis gestoßen, als ich vor etwa vier Jahren anfing, mich so zu kleiden. Nur mein älterer Bruder meinte mal, ich sehe schwul aus. Ist mir gleich. Ich muss meine Männlichkeit nicht ständig unter Beweis stellen.

Genauso wenig spielt für mich eine Rolle, dass ich Schlagzeuger bei "Kill Her First" bin, obwohl wir überall als "female Emocore-Band" beschrieben werden. Vor mir waren eben nur Mädels in der Band, die mit ihrem harten, kraftvollen Sound und dem Growlen unserer Sängerin Gerox gerade wenig weibliche Lieblichkeit ausstrahlten. Ich laufe jetzt halt unter dem Label "female". Mir gehts um die Musik.

An sich ist es musikalisch gesehen relativ vage, was Emocore eigentlich ist. Klar spielen gefühlsbetonte Texte eine Rolle. Aber dann könnte man auch Radiohead eine Emo-Band nennen. Auf die Idee würde wohl niemand kommen.

Eigentlich machen mich Stil und Musik zum Emo. Nicht irgendwelche politischen Statements, wie bei anderen Jugendkulturen. Und mich nervts wirklich, wenn Leute alles auf unsere - in Anführungsstrichen - angebliche Gefühlsduselei schieben. Warum sollte sich mein Leben anders anfühlen, nur weil ich Röhrenjeans trage?

 

Thomas

Straight Edge [engl.] (gerader Weg; Bewegung, deren Anhänger auf Alkohol, Tabak und Drogen verzichten); Thomas, 23, auf Usedom will morgens ohne Kater aufwachen.

Wenn andere hören, dass ich nicht trinke, rauche und keine Drogen nehme, gibts oft blöde Kommentare. Kostproben davon will ich euch ersparen. Es ist halt für die meisten nicht normal. Warum eigentlich?

Je besser mich diese Leute dann aber kennen lernen, desto mehr bewundern sie meine Haltung. Dass ich mein eigenes Ding durchziehe. Viele finden es dann eher verwunderlich, wie viel Blödsinn ich mitmache. Ohne zu saufen. Ich kann es absolut nicht haben, wenn mir Freunde immer wieder Alkohol anbieten. Finden die das lustig? Ich nicht. Es gibt ein Lied von Minor Threat - einer US-Band aus den 80ern - da heißt es: "Don't smoke, don't drink, don't fuck, at least I can fucking think."

Die Idee hat bis heute Bestand, sich aber in viele Richtungen entwickelt, zu Positive-Hardcore, zur Tierrechtsbewegung, sogar zu einer Hare-Krishna-Bewegung. Straight Edge steht dir nicht auf die Stirn geschrieben. Viele Edger sind tätowiert, es gibt auch oft geweitete Ohrlöcher und Piercings. Aber das ist gar nicht so entscheidend. Es ist die Meinung. Die Einstellung. Nennt's, wie ihr wollt.

Für mich und viele andere dreht es sich um den DIY-Gedanken, also: Do it yourself. Dass man teilhat an der Szene, politisch aktiv ist oder in einer Band ist. Dass man was aus seinem Leben macht. Einen aufrechten, unbedröhnten Weg gehen, heißt Straight Edge. Zu sich selbst stehen, mit allen Konsequenzen. Wenn ich morgens ohne Kater aufwache, kann ich schon irgendwas reißen. Mal ganz ehrlich: Mit Alkohol und Drogen verschwenden wir doch nur Zeit. Ich nicht mehr.

 

Nika

Pun|ker [engl.] (Jugendlicher, der durch Verhalten und Aufmachung seine antibürgerliche Einstellung ausdrückt); Nika, 18, aus Bochum will nach ihrem Piercing jetzt ein Strichcode-Tattoo.

Wenn ich austicke, schmeiße ich auch mal Gläser durch die Gegend. Ist schon passiert. Ich will es auch gar nicht jedem recht machen. Lieber auffallen! Jeder Punk will auffallen. Und ich bin Punk. Provozieren, aus der Reserve locken. Klingt bis hierher vielleicht nicht so, aber eigentlich bin ich ein friedfertiger Mensch.

Ich war 13 Jahre alt, oder vielleicht ein bisschen älter. Da habe ich angefangen, meine Klamotten zu verändern; hab nicht mehr nur angezogen, was Mutti gut findet. Ersteinmal gings in Richtung Gothic. Alles schwarz. Doch Farben sind zu schön, um sie aus meinem Leben rauszuhalten.

Seit ich 14 bin, verändere ich meine Haarfarbe ständig. Meine Frisöse Jenni mag mich, schnitt mir schon als Kind die Haare. Natürlich eck ich mit meinem Style an. Einmal war echt krass: Ich sah mir Ringe in einem Laden an. Die Verkäuferin guckte schief zu den drei Security-Typen rüber und sagte zu mir - immer noch mit schiefem Blick - ich passe nicht in das Klientel. Ich bin dann gegangen. Ohne Blick.

Auch meine Schulleiterin hat mich auf mein Auftreten angesprochen. Ich war auf dem Weg in den Proberaum unserer Band, trug eine kurze Hose mit Leggins darunter. Ganz normal. Es war noch nicht mal aufreizend oder sowas. Wenn ich mich nicht angemessen kleide, könne ich nicht am Unterricht teilnehmen, sagte sie. Ich kam mir ganz schön verarscht vor. Punks sind gegen das System.

In unserer Politik fehlt's einfach an Selbstbestimmung. Wird doch alles nur in Akten gehalten. Dagegen will ich rebellieren. Als Tattoo will ich mir bald einen Strichcode machen lassen. Meine Eltern sind dagegen, doch das war beim Piercing genauso. Das nötige Geld gabs von Freunden zum Geburtstag. Außerdem bin ich 18. Meine Eltern können gar nichts dagegen tun. Sie haben sich damit abgefunden, eigentlich verstehen wir uns gut und meine Mutter ist froh, dass ich mir Gedanken mache.

Dass Punks asozial sind und nur in zerrissenen Klamotten und mit Bier rumgammeln, ist nur ein dummes Klischee. Ich will später mal in die Kinder- und Jugendarbeit. Das wird mein Beitrag für ein bisschen mehr Love, Peace und Empathy für diese Welt. Mein Arbeitgeber muss meinen Style schon akzeptieren. Aber das wird bestimmt kein Problem. Will ja nicht hintern Bankschalter.

Isabell