Petr*Busch, Vita reducta.Originalbeitrag © 2010

Michael Connelly, Späte Abrechnung. Das Original erschien unter dem Titel Christmas Even. © Michael Connelly 2004. Aus dem amerikanischen Englisch von Lotta Rüegger und Holger Wolandt.

Torkil Damhaug, Der fast Perfekte. Originalbeitrag unter dem Titel Det nesten perfekte. © Torkil Damhaug 2010. Aus dem Norwe­gischen von Knut Krüger.

Sebastian Fitzek, Nicht einschlafen. Originalbeitrag О 2010

Der Heimweg. Originalbeitrag О 2012 in Zusammenarbeit mit einem weiteren Beetsellerautor.

Markus Heitz, Eir. ehrenwertes Haus. Originalbeitrag О 2010.

Jilliane Hoffman, Letzte Bergfahrt. Originalbeitrag unter dem Titel Last Run of the Day. © Jilliane P. Hoffman 2010. Aus dem amerikanischen Englisch von Sophie Zeitz.

Michael Koryta, Der Winter nimmt alles. Originalbeitrag unter dem Titel Winter Takes AU. © Michael Koryta 2010. Aus dem amerikanischen Englisch von Franz Leipold.

Jens Lapidus, Pulver. Originalbeitrag unter dem Titel Pulver. © Jens Lapidus 2010. Published in arrangement with Salomon sson Agency. Aus dem Schwedischen von Antje Rieck-Blanken­burg.

Val McDermid, Schöne Bescherung. Das Original erschien unter dem Titel Happy Holidays. © Val McDermid 2008. Aus dem Englischen von Helene Weinold.

Judith Merchant, Monopoly. © Judith Merchant 2008. Die Geschichte erhielt 2009 den Friedrich-Glauser-Preis in der Sparte Kurzkrimi.

Steve Mosby, Wünsche für Alison. Originalbeitrag unter dem Titel

Wishes for Alison. О Steve Mosby 2010. Aus dem Englischen von Helene Weinold.

Markus Stromiedel, Das Haus auf dem Hügel. Originalbeitrag О 20X0.

Thomas Thiemeyer, Fehler im System. Originalbeitrag © 2010.


Tilt. Absturz. Breakdown.

Dann muss die Festplatte gesäubert und das System neu ge- I bootet werden, in der Hoffnung, dass es beim nächsten Mal besser klappt. Geburt, Tod, Wiedergeburt, für Religions- | forscher ein alter Hut. Aber auch für Naturwissenschaftler. V Fragen Sie mal einen Astrophysiker, was er unter dem Be- Ь griff zyklisches oder pulsierendes Universum versteht. Er i wird Ihnen einen ellenlangen Vortrap über ein DenkmoHell J- halten, bei dem die Welt mit einer Initialzündung - einem Urknall - beginnt, sich dann entfaltet und immer weiter 7 ausdehnt, nur um irgendwann einen Höhepunkt zu errei- lf>. chen und wieder in sich zusammenzufallen. Und wir Men- f. sehen, die wir irgendwo^im Räderwerk dieser gewaltigen >. Maschine stecken, glauben wirklich, wir könnten etwas ver- ,r ändern? Lachhaft. Moral und Ethik? Scheinwerte. Daswis- $ sen Sie sicher am besten. Kleinstprogrammierungen, die in § unserer Evolutionsgeschichte sicher mal wichtig waren und , J die uns das Gefühl vermitteln sollen, in unserem Leben | gäbe es so etwas wie Ordnung und Bedeutung. Ich verrate;': Ihnen sicher nichts Neues, wenn ich sage: Es geht auch ohne^ ; und zwar bedeutend besser. Man darf sich nur nicht erwi- % sehen lassen. Menschen wie Sie haben es uns vorgemacht.'/ Nehmen Sie zum Beispiel den Fall dieser ehemaligen Rats» £ Vorsitzenden der Evangelischen Kirche. Zu viel getrunken,-, über Rot gefahren und dabei erwischt worden. Seien wi%. doch mal ehrlich, unter Männern ein Kavaliersdelikt. Man gibt den Schein für ein Jahr aB7 lässt sich chauffieren, und; das war's. Pie Dame hingegen folgte ihren moralische^ Grundsätzen, trat zurück und überließ das Feld jemand an^, derem. Jemandem mit mehr Hunger und weniger Skrupeln. Lässt man diesen Mechanismus eine Weile laufen, bleib№. nur noch die Unmoralischen übrig. Der Abschaum^ der wi^

Müll an der Wasseroberfläche treibt. Das ist unser Lebens- prinzip.

Only the good die young. Dabei ist das Böse, wenn man es genau betrachtet, ja nichts anderes als das Gute, nur auf die Spitze getrieben. Der Weg zur Hölle ist gepflastert mit guten Vorsätzen, nicht wahr? Na seben Sie. Hitler ist auch nicht morgens aufgestanden, hat seine Hände gerieben und sich gefragt: »Was kann ich heute Böses anstellen?« Was er tat, geschah nach bestem Wissen und Gewissen. Zumindest in seinen Augen. Sie verstehen, worauf ich hinauswill.

Nein?

Dann lassen Sie es mich anders formulieren. Was ist Reali­tät? Dass Sie Heiligabend in einem neonbeleuchteten Keller sitzen, festgeschnallt auf einem Zahnarztstuhl, der aus einer Konkursmasse über E-Bay seinen Weg zu mir gefunden hat?

Dass Sie in Ihrem Mercedes SLK noch schnell ein paar letzte Besorgungen machen wollten, ehe Sie zu Ihrer Familie heimkehren und ein konsumtechnisch orientiertes Weih­nachtsfest feiern? Dass ich Sie dabei beobachtet, im Park- Itaus betäubt und in ein Auto gezerrt habe ? Und jetzt stecken Sie in diesem gottverdammten Alptraum fest und hören sich das Geschwätz eines vermeintlichen Psychopathen an.

Blöde Geschichte.

Aber mal ehrlich: Wie glaubwürdig ist das? Mathematisch gesehen tendiert die Wahrscheinlichkeit, dass einem so et­was widerfährt, gegen null. Oder nehmen Sie meinen Fall. Datenbankadministrator einer großen deutschen Bank, der rA nach dem Kollaps wegrationalisiert wurde, während die an­deren - Leute wie Sie -, die den ganzen Schlamassel ange­richtet haben, weiterhin fest im Sattel sitzen und sich aus Staatsgeldern Boni auszahlen lassen. Dass meine Frau mich verlassen hat und meine Kinder jetzt einen anderen Vater

Thai in der Hand unter dem strahlend blauen Himmel eines tropischen Inselparadieses zu verbringen.

I)a stimmt doch etwas nicht.

Es scheint so, als ob Geld und Macht ab einem bestimmten Punkt eine Eigendynamik bekommen, die unweigerlicfT zum Kollaps führt. Unverhältnismäßig hohe Zahlen an Ma­gengeschwüren, Herzinfarkten und Nervenzusammenbrü­chen in der Branche sprechen eine deutliche Sprache. Icf*

• weiß, wovon ich rede, ich habe lange genug im Bankgeschäft gearbeitet. Aber ich rede nicht nur vom Kollaps des Körpers. Auch die Gesellschaft ist in Gefahr. Wie soll ein solches Sys­tem auf Dauer funktionieren? Irgendeiner muss die Zeche zahlen, und das sind letztlich wir alle. Trotzdem machen wir

weiter.

Genau wie die Graugänse.

Kennen Sie Konrad Lorenz? Nicht? Na, Sie sind vermutlich J noch zu jung. Einerlei. Lorenz hat entdeckt, dass brütendem Graugänse ein aus dem Nest gefallenes Ei auf Anhieb .und я problemlos ins Nest zurückbugsieren können, ohne diefjr.. vorher ein einziges Mal geübt zu haben. Dabei balancieren^ sie das Ei so, dass es nicht seitlich wegrollt. Nimmt man ihnen das Ei weg, führen sie diese Rollbewegung trotzdem. zu Ende, sie können gar nicht anders. Genau wie wir Men­schen.

Wirtschaftsforscher haben bewiesen, dass unser kapitalis-

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tisches Wirtschaftssystem eine Fehlentwicklung dar stellt' НеГТсМп auFDauer gar :nicht funktioniSrenTl^le sollte auch ? Wer soll denn den ganzen Scheiß kaufen, den unsere Großunternehmen produzieren? Die Dritte Welt? Trotzdem machen wir weiter, als wüssten wir von nichts. Irgendwann werden wir feststellen, dass uns das Ei auf halbem Wege öl?- handengekommen ist, nur ist es dann zu spät.


Aber was rege ich mich auf, es ist doch nur ein Spiel. Und wer bin ich, mich über die Spielregeln zu beklagen?

Und damit kommen wir zu der Frage, warum Sie am Heili­gen Abend festgeschnallt auf einem Stuhl sitzen, nackt, einen Knebel im Mund, die Hände unkomfortabel hinter dem Rücken gefesselt, und den Worten eines vermeintlich Irren lauschen. Nun, ich werde es Ihnen verraten.

Ich bin nicht irre. Das überrascht Sie jetzt, nicht wahr? Nein, im Ernst. Ich bin es ebenso wenig wie Sie oder jeder andere auf diesem Erdball.

Haben Sie mal Matrix gesehen? Ah, ich sehe es Ihren Augen an, Sie mögen den Film. Ich auch. Nicht wegen Keanu Reeves, den ich - neben Nicolas Cage - für einen der lau- sigsten Schauspieler halte, die Hollywood in den letzten Jahren hervorgebracht hat. Nein, mich interessiert die Bot- schaft. Pie Botschaft, dass die Welt um uns herum nicht real ist. Dass sie es nie war. Dass alles, was wir sehen, hören, füh­len, schmecken, nur Teil einer riesigen und schwer zu steu­ernden Simulation ist.

Die Welt ist surreal, geben Sie es ruhig zu. Schauen Sie sich die Nachrichten an, dann wissen Sie, wovon ich rede. Hun­gersnöte, Kriege, Umweltkatastrophen, Krebs, Ozonlöcher, George Bush, Motivklodeckel. Ja was denn noch?

Schicksal sagen Sie? О nein. Ich nenne es Systemfehler. Programmierfehler. Kleine Schlampereien im Quell-Code, die erst bei längerer Laufzeit zum Problem werden. Dann allerdings sind sie nicht mehr zu beheben. Irreparabel. Die Fehler summieren sich auf, das System geht vor die Hunde. So wie alle Systeme übrigens, die zu groß und komplex ge- worden sind. Pas ist ein Naturgesetz. Man nehme zum Bei­spiel die Dinosaurier oder die großen Weltreiche - alle zu Staub zerfallen.

S'?

haben? Dass ich zusehen dart wie ich mit meiner mickrigen Arbeitslosenunterstützung den ganzen Laden am Laufen halte?

I Tnfflaubwü rdig, oder? Im Film würde man darüber die Nase rümpfen und rufen: Klischee! Man würde dem Produzenten die Schuld in die Schuhe schieben und sagen, er hätte mal lieber an den Effekten sparen und dafür ins Drehbuch inves­tieren sollen. Auch in der Spielerbranche gibt es einen Aus* druck dafür. Er lautet schlecht gescripted.

Ich nenne so etwas Systemfehler.

Plato sagte einst: »Pie Illusion ist ein Schatten an der Wand.« Ich behaupte, nicht die Illusion ist der Schatten, die Realität ist es. Seien wir doch mal ehrlich. Pas Leben, das wir führen, ist doch ein Witz. Pa ist jeder Tag in Sim City, Second Life oder im WortcPbf-Warcraft- Universum ange­nehmer. Man ist ein Zwerg oder Nachtelf, erfüllt Aufträge, für die man grüne, blaue oder violette Gegenstände erhält, trifft Freunde und Bekannte, hält hier und da ein Schwätz­chen, geht hin und wieder ins Auktionshaus, um sich was Schönes zu kaufen. Pabei levelt man fleißig nach oben und «föhn ein beschauliches und geordnetes Leben. DAS sind die neuen Realitäten. Ich weiß, wovon ich rede. Ich hatte in den Tagen völliger Einsamkeit und Stagnation genug Zeit, um mich mit der virtuellen Welt vertraut zu machen. Und soll ich Ihnen etwas verraten ? Ich nabe dort etwas gefunden, das deutlich geordneter und menschenwürdiger ist als das viel- *gepriesene echte Leben. Gut und Böse sind sauber definiert. Man trifft sich, verkloppt ein paar Monster, feiert Ostern, Weihnachten und Silvester im Kreise befreundeter Spieler . und kann sogar heiraten. Und wenn einem einer auf den Sack geht, setzt man ihn auf die Ignore-Lisxe, Auch mit dem literben Ist es kein Problem. Entweder man lässt sich wie-


derbeieben oder man erschafft gleich einen neuen Charak­ter. Ist das nicht herrlich?

Kein Wunder,dass so viele Kinder und Jugendliche den Be* Zug zur Realität verlieren. Sie haben in den Spielen etwas gefunden, was ihren Sehnsüchten und Bedürfnissen viel eher entspricht als das sogenannte wirkliche Leben mit sei­nen schlechten Noten, nervigen Eltern und maulenden Leb- rem. V

Der einzige Nachteil ist die veraltete Grafik. Verglichen mit der Engine des Real-Life,v/i£ die Online-Community es so schön nennt, hinken Computerspiele doch deutlich hinter­her. Aber das wird noch. Es kommt der Tajfr an dem der Un­terschied nicht mehr feststellbar sein wird. Dann werden all jene, die sich noch immer an die Hoffnung geklammert ha­ben, es gäbe sie - die echte, wirkliche Welt -, an ihren Kopf fassen und sich fragen, warum sie den Lugund Trugnicht langst gesehen haben.

Und jetzt raten Sie mal, warum ich Ihnen das alles erzähle. Weil ich diesen Punkt bereits erreicht habe.

Ich lasse mich nicht länger von der High-End-Grafik blen­den. Die akustischen, haptischen und oralen Reize der Real- Life-Engine verpuffen an meinen Nervenenden wie Schnee- flocken auf einer heißen Herdplatte. Die Wege des Großen Programmierers mögen unergründlich sein, unfehlbar sind sie nicht. Das wird einem besonders an solchen Tagen wie dem heutigen bewusst.

Ohne jetzt arrogant klingen zu wollen, aber ich sehe mich als Weiterentwicklung der Evolution. Der Homo transzen- dentalis, wenn Sie so wollen. Ein Mann, der das Blendwerk durchschaut hat. Dessen Metamorphose das Trugbild ynse- rer Realität zum Einsturz bringen wird, weil er den Himmel als das entlarvt hat, was er in Wirklichkeit ist: ein binäres


Zahlengeflecht. Ich mag nur ein kleines Bauelement inmit- ten des riesigen Räderwerks sein, aber das Rädchen, das quietscht, bekommt das Öl, ist es nicht so? Und ich habe vor, gewaltig zu quietschen.

4^ Ju Nun ja, genau genommen werden Sie es sein, der quietscht, aber es ist der Gedanke, der zählt. Ich habe vor, meine Ge­schichte ganz groß rauszubringen. Die Presse ist bereits in­formiert. Zwischen Weihnachten und Neujahr wird unsere Story auf jeder Titelseite zu finden sein. Wenn das Einsatz-^ kommando kommt, werden die Fotografen bereits in Posi­tion stehen und jedes noch so unappetitliche Detail doku­mentieren. Denken Sie nur, welche Schlagzeilen wir machen werden. Die Menschen werden sich an den Kopf fassen und fragen: Welchen Sinn hatte diese Tat? War es ein Racheakt oder steckte noch etwas anderes dahinter? Wie kann ein Mensch nur so etwas tun? Und ich werde antworten: Weil ich es kann. Weil das System so ist, wie es ist, und weil es kein Zurück mehr gibt.

' Wer weiß, vielleicht kann ich einige sogar zur Nachahmung _ animieren. Je mehr, desto besser, das beschleunigt den Ab­sturz des Programms. Mit dem, was ich zu tun gedenke, werde ich so ziemlich gegen alle Tabus und Regeln versto­ßen, die je ein Programnüerer erdacht hat. Wenn dieser nur einen Funken Liebe für sein Werk empfindet, dann wird er einsehen, dass es so nicht weitergeht, und den Reset-Knopf drücken. Er wird das Programm noch ein bisschen weiter­laufen lassen, um die Liste von Fehlermeldungen zu ver- vollständigen, aber irgendwann ist Schluss. Reboot und Neustart. Diesmal hoffentlich etwas besser.

Jetzt schauen Sie doch nicht so erschrocken. Ihnen wird nichts geschehen. Da Ihre Existenz virtueller Natur ist, ist es Ihr Tod automatisch auch. Sie leben nicht, ergo können

Sie auch nicht Sterben. Ihr Geist - wenn man ihn denn so nennen will — wechselt vom Desktop zurück in die F.ingSs weide der Speicherbank, wo er sich für den nächsten Anlauf bereitmacht. Dass dieses Zwischenstadium als unangenehm empfunden wird,liegt in der Natur der Dinge. Alle Lebewe- sen empfinden Veränderung als etwas Unangenehmes, aber das ist nur von kurzer Dauer.

Tja...

Sie merken, ich zögere.

Nun, ich will es Ihnen nicht verheimlichen. Es gibt eine Sache/ die mich noch zurückhält. Es ist nicht leicht zu erklä­ren, aber ich entnehme Ihren hoffnungsvoll schimmernden Augen, dass es Sie interessiert. Wie soll ich es bezeichnen? Skrupel? Nein. Eher ein letzter Schnipsel eines Programm­codes - nennen wir ihn Instinkt der behauptet, ich würde mir das alles nur einbilden. Eine ferne Stimme, die mono­ton, gleichwohl nervtötend behauptet, gut sei gut, böse sei böse, oben sei oben und unten sei unten. Wiewohl wir ja alle wissen, dass nicht mal das stimmt. Immerhin befinden wir uns auf einer rotierenden Kugel, die mit halsbrecherischem Tempo durch den Äther rast. Da gibt es kein Oben und Un- ten. Aber diese Stimme lässt sich nicht abstellen. Unentwegt wiederholt sie ihre Thesen, fast wie ein Mantra, und verur­sacht mir rasende Kopfschmerzen dabei. Fast könnte man glauben, ich wäre in einem Klartraum gefangen.

Sie nicken so eifrig. Kennen Sie etwa diese Art von Trau- tmen?

Das trifft sich gut. Dann können Sie mir vielleicht folgende Frage beantworten: Woran erkennt man, ob man wach ist oder schläft? Ich habe es nie schlüssig erklärt bekommen.

Die Studien, die sich mit luziden Träumen befassen, waren nicht wirklich erhellend. Das Problem liegt in der Abgren-


zung. Wie können wir Wachzustand und Traumzustand voneinander unterscheiden ? Wie kann der Träumende wäh­rend des Traumgeschehens erkennen, dass er träumt? Gibt es Techniken, die eine solche Deutung zulassen? Und wenn ja, welche? Angeblich kann sich der Mensch vor dem Zubett- gehen vornehmen, eine gewisse Distanz zu dem zu wahren, was er im Traum erleben wird. Er kann sich bestimmte Schlüsselsymbole ins Gedächtnis rufen, die regelmäßig in seinen Träumen auftauchen, um dann im Traum zu erken­nen: »Aha, dieses Symbol ist ein Traumsymbol, also träume ich wohl gerade.« .

Nur: Was, wenn der Schlaf - wie in unserem Fall — eine Art Dauerzustand ist? Wenn wir gar nicht erst erwachen? Dann fällt die Argumentationskette doch in sich zusammen, nicht wahr?

Sie sehen also, vor welchem Problem ich stehe. Und das bringt mich wieder zurück zu meinem ursprünglichen Vor­haben: das Programm zum Absturz zu bringen.

Ich werde Ihnen jetzt eine Substanz verabreichen, die ver­hindert, dass Sie ohnmächtig werden. Schließlich hängtder Erfolg meiner Unternehmung ja von der Stärke Ihrer Pein ab, dem Ausschlag auf der Richterskala, wenn Sie so wollen. Doch, doch. Ich muss schon eine gewisse Benchmark errei­chen, um auf dem Radarschirm des Programmierers aufzu­tauchen. Aber das soll nicht Ihr Problem sein, schließlich sind Sie mehr oder weniger unbeteiligt. Mir allein obliegt das Gelingen des Plans. Wenn ich scheitere, können Sie mir die Schuld geben. Obwohl ... ob Sie dazu noch in der Lage sein werden ?

Womit soll ich anfangen ? Die Instrumente liegen bereit. Ich glaube, ich wähle etwas Kleines, schließlich will ich mich ja nicht gleich im Largo verausgaben. Das Ganze muss etwas von einer Sinfonie haben. Eitelkeit sagen Sie? Ich nenne es künstlerischen Anspruch.

Ich hatte zuerst an ein sanftes Adagio gedacht, dann ein An- dante oder Allegretto. Und für das Grand Finale ein Allegro, vielleicht auch ein Vivace. Je nachdem, wie viel Begeiste- rungsfähigkeit Sie dann noch aufbringen.

Schauen Sie sich dieses Skalpell an, wie das Licht darauf schimmert. Ein kleiner Schnitt, und schon blutet es. Warten Sie, ich wische es gleich wieder weg.

Verdammt, diese Grafik ist schon echt realistisch. Der Spe- cial-Effects-Abteilung müsste man den Oscar verleihen. Schade, dass das ganze Geld immer nur in die Optik fließt, der Inhalt scheint niemanden zu interessieren. Aber ich ge­denke, das zu ändern.

Bereit?

Gut. Fangen wir an.

* Mirko M. gehörte zu einer Gruppe junger Männer, deren Leichen am 23. Februar 2010 im rheinischen Kürten gefun­den wurden. Die drei hatten sich eine Pizza bestellt und dann gemeinsam Selbstmord verübt.