Stilistische Potenzen der strukturellen Satztypen

Die Stilforscher unterscheiden drei Oppositionen des deutschen Satzes:

Ø eingliedriger Einfachsatz – vielgliedriger Einfachsatz;

Ø einfacher Satz – zusammengesetzter Satz;

Ø Satzreihe (Parataxe) – Satzgefüge (Hypotaxe).

Sie sind darüber einig, dass die stilistische Eigenart des Textes von seiner syntaktischen Seite sehr stark abhängt. Die syntaktische Formung trägt viel dazu bei, die Aussage ausdrucksvoll zu machen.

Eingliedrige und wenig erweiterte Sätze fasst man in der Kategorie der Kurzsätzezusammen. Mit ihrer Hilfe schafft der Autor gewöhnlich ein spannendes, lebendiges Bild. Z.B.: „Der Vater war fern; er kommt; er hört; er sucht mich auf“.

Eine spezifische Erscheinungsart unter den Kurzsätzen sind Nennsätze (immer eingliedrig). Sie bestehen in meisten Fällen aus einzelnen Wörtern (Substantiven) oder Wortgruppen. Mit solchen Sätzen lässt sich der Hintergrund eines Ereignisses oder ein Stimmungsglied sehr gut zeichnen, z.B.: Kein Laut. Totenstille. (B. Kellermann. Der 9.November)

Zu den Kurzsätzen rechnet man auch elliptische Sätze (Ellipsen). Ellipsen werden als sprachliches Stilmittel eingesetzt, indem durch die Auslassung von Wörtern oder Satzteilen grammatikalisch „unvollständige“ Sätze gebildet werden. Durch den Kunstgriff der Satzellipsen wird in der Literatur versucht, eine eindringliche Wirkung zu erzielen und Wichtiges hervorzuheben. So findet man Ellipsen auch in vielen Überschriften bzw. Schlagzeilen wieder, welche mit Satzellipsen bzw. Kurzsätzen gebildet werden, z.B.: „Dresdner Frauenkirche wieder aufgebaut“. Bisweilen erinnert das Ergebnis an den Telegrammstil, z. B. in Kurzinformationen: „Wetter überwiegend heiter, keine Niederschläge“. In Dramen und Romanen dient die Ellipse auch dazu, die Alltagssprache nachzuahmen. Ellipsen können auch bewirken, dass sich der Text schneller liest, um zum Beispiel Hektik zu vermitteln. Ein weiterer Grund für die Verwendung dieses Stilmittels liegt darin, dass Sätze auf diesem Weg einprägsamer, einzigartiger und somit besser zu transportieren sind. Eine besonders populäre Modeerscheinung ist die eigentlich unzulässige, abkürzende Kombination von Verb und Objekt, die vor allem als Slogan/Claim im PR-Bereich („Wir sind Kirche“, „Wir sind Flughafen“) oder den öffentlichen Medien („Ich kann Kanzler“, „Wir sind Papst“) vorkommt und inzwischen in den alltäglichen Sprachgebrauch übergegangen ist.

Der Satz enthält nur das, was für die Mitteilung inhaltlich wichtig ist und auch stilistisch betont werden muss. Z.B.:

Habe mir einen Kaffee gekocht, extra stark und ohne Zusatz. Liege auf dem Sofa, rauche eine gute Zigarre und lese... kein Lamento, keine Fragerei. Himmlich!

Häufig anzutreten ist die Ellipse in der Umgangssprache (als Ausdruck der Mundfaulheit) auch im sachlichen Geschäftsstil usw.: Hörst, bist bös auf mich? Teile Ihnen mit ... .

Noch Beispiele: Mir nichts, dir nichts.

Je früher der Abschied [ist], desto kürzer [ist] die Qual.

Nicht du, [sondern] ich!

[Das] Ende [ist] gut, alles [ist] gut!

Was [ist] nun?

Was [ist] denn?

[Ich wünsche Ihnen einen] Guten Morgen!

[Ich bitte Sie um] Entschuldigung!

[Möchten Sie] Sonst noch was?

[Fährt] Noch jemand ohne Fahrschein?

In den Texten der schönen Literatur stehen die elliptischen Sätze bei der Beschreibung des inneren Zustandes als Ausdruck der Spannung, Leidenschaft, Aufregung einer Person, sie betonen den unruhigen Ablauf und Wechsel ihrer Gedanken. Sie sind immer Kennzeichen der expressiv gefärbten Textstellen.

Vielgliedrige einfache Sätze sind inhaltlich sehr umfassend und eignen sich für ausführliche Beschreibungen, Schilderungen usw. Sie sind in allen Funktionalstilen gebräuchlich.

Längere(vielgliedrige)Aussagesätze können insbesondere für sachliche Schilderungen, für Beschreibungen und Erläuterungen dienstbar sein.

Die Verwendung der Hypotaxe (Satzgefüge) ist besonders für den wissenschaftlichen Stil charakteristisch. Auch in der schönen Literatur findet man zahlreiche Hypotaxen. In den literarischen Texten dienen sie der Entwicklung eines Gedankens.

Die syntaktische Periodeist ein mehrfach zusammengesetzter Satz, der mit sprachästhetischen Ambitionen stilistisch durchgestaltet ist und eine klar erkennbare Harmonie der Satzstruktur aufweist. Perioden können mehrere Gedanken zu einem Thema, oft in der Überwindung des Gegensatzes von These und Antithese, zu einer Synthese zusammenführen [6, S. 207]:

Unter deutscher Prosa hatte man sich sonst ein schwerlötiges, vierundzwanzigpfündiges Geschütz vom gröbsten Kaliber zu denken, das mit einem Langgespann von sechs Pferden rumpelnd in die Schlacht gezogen wurde; oder einen in tiefen Sandspuren langsam fortkeuchenden, ackermärkischen Frachtwagen, der mit Säcken, Kisten und Fässern aller Art so vollgepackt dahinrollt, dass man den Mut verliert, ihn anzuhalten [Th. Mundl. Über Prosakunst].