Zum Problem der Darstellungsarten

Stilistik beschäftigt sich mit mündlichen und schriftlichen Äußerungen, die einen sinnvollen Textzusammenhang bilden.

Unter dem Begriff „Text“ versteht man „eine sinnvoll geordnete Menge von Sätzen oder satzwertigen Einheiten, zwischen denen Relationen mit Bedeutungen beziehungsweise Funktionen bestehen“..., „ ... eine in bestimmter Weise strukturierte Ganzheit“ , die als eine relativ selbständige Einheit einen im Bewusstsein widerspiegelten komplexen Sachverhalt mit sprachlichen Mitteln darstellt“ [6, S. 190].

Jeder Text hat eine horizontale und eine vertikale Struktur. Die horizontale Struktur besteht aus der Überschrift, der Einleitung, dem Hauptteil und dem Schlussteil. Die vertikale Struktur gibt die funktionale Spezifik des Textes wieder, d.h. seine kommunikativen Ziele und ihre Realisierung in den Kompositionsformen / Darstellungsarten: Bericht, Beschreibung, Erörterung etc. Und ihre Abarten. Was ist eine Darstellungsart?

E. Riesel und E. Schendels definieren die Darstellungsarten folgendermaßen: „Die Darstellungsarten sind Teiltexte, die an eine bestimmte sprachliche Form gebunden sind je nach dem Zweck und der Art der Aussage.“ [19, S. 269]. Darstellungsarten sind durch bestimmte Kombinationen von Stilzügen geprägt, geben die funktionale Spezifik des Textes wieder, obwohl sie an bestimmte Funktionalstile nicht gebunden sind (ebd.).

Nach der Meinung der meisten Stilforscher zu den wichtigsten Darstellungsarten gehören folgende:

1. Berichten. Dazu gehören Sach- und Erlebnisberichte wie Protokoll, Sport-, Arbeits-, Wetterbericht, Chronik, Lebenslauf, Reportage, Referat u.a.

Wie verschieden die Formen des Berichts sein mögen, besteht ihr Sinn darin, den Empfänger über den Ablauf eines Geschehens zu informieren. Der Berichterstatter erstrebt eine objektive Wiedergabe des Sachverhaltes. Der Bericht soll möglichst vollständig und lückenlos sein, die Ereignisse reihen sich chronologisch und in ihrer natürlichen Folge an. Die Bevorzugte Form ist das Präteritum, beim referieren und im Wetterbericht verwendet man oft das Präsens (oder) Futur; typisch für den Bericht sind Passivgebrauch, Indikativ, unpersönliche Sätze. Man kann auch in der indirekten Rede berichten, dann erscheint der Konjunktiv.

Eine Sonderrolle kommt der Reportage zu, obgleich ihr Hauptanliegen dasselbe bleibt, und zwar, das exakte Erfassen der Wirklichkeit. Trotzdem lässt sie eine subjektive Anteilnahme und emotionale Färbung zu und dadurch entsteht der so genannte Erlebnisbericht, der einen Grenzfall zwischen Berichten und Erzählen bildet.

2. Erzählen. Auch das Erzählen ist eine informative – nicht impressive – Vorgangsdarstellung wie das Berichten. Aber der Sender verfolgt eine andere Absicht. Zweck ist nicht eine sachliche Information, sondern die Einwirkung auf den Empfänger. Der Erzähler will, von seinem Stoff ergriffen, seinen Zuhörer/Leser packen, ihn in Spannung versetzen. Die Erzählung muss weder als Ganzes noch in ihren Teilen unbedingt objektiv und damit überprüfbar sein. Erzählstoffe sind häufig frei erfunden (Phantasieerzählung) oder weichen in wesentlichen Teilen von realen Vorgängen ab. Die Aufmerksamkeit des Erzählers richtet sich daher nicht nur auf die bloße Abfolge von Ereignissen, sondern auch auf die Gestaltung von Stimmungen, Gefühlen und Gedanken. In diesem Sinne ist die Erzählung gezielte „emotionale Einwirkung“ auf den Empfänger; sie will Menschen seelisch aufschließen, sie erheitern, in Spannung versetzen oder nachdenklich stimmen.

Unter diesem Aspekt wählt der Erzähler den Stoff aus, scheidet Nebensächliches aus, hebt andere Faktoren hervor, die für die beabsichtigte Wirkung von Bedeutung sind. Er reiht diese Ereignisse aber nicht einfach aneinander, sondern verbindet die Einzelheiten nach dem Gesetz der Steigerung so miteinander, dass die Spannung des Empfängers einem Kulminationspunkt zustrebt und wieder gelöst wird. Das wirkt sich auf das gewählte Wortgut und die grammatische Gestaltung aus: neben dem Präteritum kommen das Perfekt, Plusquamperfekt, Präsens zur Geltung; das bevorzugte Genus ist das Aktiv; abwechslungsreich ist der Gebrauch der Modi. Oft erzählt man von eigenen Erlebnissen in der 1. Person.

3. Beschreiben.Das Beschreiben kann man allgemein als informatives Darstellen von Gegenständen und Zuständen bestimmen. Es verfolgt das Ziel, die objektive und sachgerichtete Information dem Empfänger zu übergeben. Dabei tritt die persönliche Anteilnahme des Verfassers zurück. Beschreiben setzt Beobachten voraus. Jede Interpretation oder Meinung müsste als unzweckmäßig betrachtet werden. Es geht hier lediglich um die Hauptdarstellungsart in Wissenschaft und Technik, wenn ein Fachmann Vorgänge, Experimente, Theorien klarlegt. Er Benutz dabei terminologischen Wortschatz, da das Beschreiben in der Regel berufsgebunden ist. Jede Beschreibung erörtert zugleich. Verallgemeinerung und Exaktheit sind ihre Hauptzüge. Die grammatische Ausgestattung: Tendenz zum Gebrauch des verallgemeinernden Präsens, des verallgemeinernden Artikels, des Indikativ, des Passiv und Stativ, der man – Sätze.

4. Schildern. Ist die Beschreibung nicht sachgerichtet, sondern erlebensmäßig-künstlerisch, so nennt man diese Darstellungsart Schildern. Dann spricht der Beobachter von der Wirkung, die die Gegenstände auf ihn ausüben, er formuliert seine Eindrücke. Das Schildern bezieht die Darstellung der Gefühle ein, obwohl als Grundlage die Exakte Beschreibung bleibt. Eigentlich berührt sich das Schildern mit dem Erzählen und dem Beschreiben, besonders bei solchen Themen wie Landschaftsbeschreibung, Bildbeschreibung, Erlebnisbeschreibung etc.

W. Fleischer und G. Michel bezeichnen das Schildern als „Grundtyp der impressiven Darstellung“. Das Schildern widerspiegelt die Eindrücke, die mehr oder weniger unmittelbar und gleichsam entstehen. Das Schildern konzentriert sich auf eine Teilsachverhalte, die für die Auslösung eines Gesamteindrucks von Stimmungen, Gefühlen und Gedanken bestimmend sind.

5. Erörtern. Das Erörtern ist eine informative Darstellungsart. Der Gegenstandsbezug des Erörterns ist nicht eindeutig. Das ist eine kombinierte Darstellungsart. Das Abstrahieren und Kommentieren sind relevante Grundelemente dieser Darstellungsart. Beide Verfahren wirken aufs engste zusammen beim Erfassen der Problemsituation, der Analyse und schließlich auch bei der Lösung des Problems. Mit Hilfe der Argumente werden z. B. mehrere Varianten bei der Lösung komplizierter Probleme miteinander verglichen und bewertet. Dabei spielen die Beweisführung, auch das Fixieren von Begriffsinhalten, das Urteilen und das Schlussfolgern eine wesentliche Rolle.

Beim Erörtern wird in der Regel eine Verbindung von Allgemeinem und Besonderem hergestellt. Die Darstellung konkreter Sachverhalte kann z. B. verallgemeinert werden und dann wiederum zu Schlussfolgerungen führen, die für das Besondere, also die Praxis, von Bedeutung sind.

Ausgangspunkt einer Erörterung können aber auch theoretische Fragestellungen sein, die zunächst durch Beispiele konkretisiert werden; am Ende dieser Kette kann dann wieder eine verallgemeinernde Schlussfolgerung stehen.

Generelle Regeln für den Textaufbau von Erörterungen sind daher kaum aufstellbar; von Bedeutung ist vor allem eine klare, übersichtliche und logisch durchdachte Gliederung des Textes. Zum Wesen der Erörterung gehört es ferner, dass nicht nur Problemlösungen, „fertige Ergebnisse“ mitgeteilt werden, sondern dass dem Empfänger eine Problemlösung vorgestellt, Verständlich gemacht wird.

6. Charakterisieren. Das Charakterisieren verlangt Stellungnahmen und Urteil. Es geht hier nicht z. B. um ein neutrales Porträt einer Person, subjektivste Darstellungsart. Abarten des Charakterisierens sind: Charakteristik eines Menschen aus der Umwelt, das literarische Porträt (Charakteristik einer literarischen Gestalt), aber auch ein sachliches Gutachten zu einer Diplomarbeit, einer Dissertation, einem Buch. Je nachdem, ob die Charakteristik praxisbezogen, literarisch oder dokumentarisch ist, ändert sich die sprachliche Ausgestaltung.

In manchen Stilen und Substilen herrscht eine Darstellungsart vor, z. B. das Berichten und Beschreiben werden nach Gegenstand, Ausgangsabsicht, Genre, Leserkreis, Erscheinungsorgan, Medium (Presse, Rundfunk, Fernsehen etc.) vielfältig modifiziert und verschiedenartig kombiniert. So bilden sich abgeleitete oder kombinierte Darstellungsarten heraus.

Die Gesamtheit der Darstellungsarten, genauer gesagt ihre Anordnung in einem Text, bezeichnet man als stilistische Darbietungsform oder Kompositionsform.

Besonders kompliziert ist das Ineinandergreifen der Darstellungsarten in einem literarischen Werk. Sie sind mit dem Wesen und den Grundelementen der literarischen Erzähltechnik verknüpft, für die die Begriffe „Erzählperspektive“ und „Rededarstellung“ wichtig sind.

 

2. Erzählperspektive

Der Begriff „Erzählperspektive“ bildet die Grundlage der modernen Textstilistik, der linguostilistischen Textinterpretation. Man definiert Erzählperspektive als „Blickrichtung des Textes in räumlicher, zeitlicher, personaler und gedanklicher Hinsicht“ [19, S. 271].

Nach B. Sowinski ist Erzählperspektive „die Gesamtheit der Ansichten, Gedanken, Motivationen, Stellungnahmen etc., die dem Leser sowohl, durch den Erzähler als auch durch die Figuren vermittelt wird“ [25, S. 88].

Eine Perspektive gibt es in jeder Art von Kunst: ein Maler wählt einen bestimmten Blickpunkt, von dem aus er die Gegenstände seines Gemäldes wiedergibt, ein Bildhauer berücksichtigt den Standort, die Beleuchtung des von ihm errichteten Objekts, ein Spielleiter ist immer auf die Bühnenperspektive oder die Filmperspektive bedacht. Jedem stehen die Mittel seines Berufes zur Verfügung. Der Schriftsteller verfügt nur über die Sprache. Welche sprachlichen Mittel dienen ihm dazu?

An dem natürlichen mündlichen Kommunikationsprozess beteiligen sich die räumlich und zeitlich unmittelbar verbundenen Gesprächspartner: Sender und Empfänger. Die Erzählperspektive ergibt sich aus der Sprechsituation. Bei der Distanzstellung (Rundfunk, Fernsehen) wird die unmittelbare räumliche Beziehung gestört, die zeitliche dagegen bleibt erhalten. Beim schriftlichen Verkehr fehlen beide Kontakte in Raum und Zeit. In der schöngeistigen Literatur, wo es sich um erfundene, dichterische Geschehnisse und Personen handelt, wo es sich um erfundene, dichterische Geschehnisse und Personen handelt, wo der Sender und Empfänger zeitlich und räumlich getrennt sind, wo es nicht einmal klar ist, wer der eigentliche Sender ist, wechselt immer die Erzählperspektive. In der Sachprosa mit ihrem objektiv sachlichen Informationsgehalt ist die Erzählperspektive ziemlich eindeutig. Anscheinend ist der Sender identisch mit dem Autor. Aber der Autor kann durch mannigfaltige Gestalten vertreten werden.

Die Zahl der am literarischen Kommunikationsprozess beteiligten Personen und ihr Verhalten sind für die EP ausschlaggebend. Es bildet sich folgende Kette:

Øder Autor als Schöpfer des Werkes,

Øder Erzähler im literarischen Werk entweder in der Ich-Form oder in der Er-Form,

Ødie handelnden Personen, von denen eine jede die Erzählung übernehmen und weiterleiten kann,

Øder Leser schließt die Kette ab, da er der eigentliche Empfänger des im Werk mitgeteilten ist.

Je nachdem, in welchem Maße die Schilderung auf den Autor, den Erzähler, eine Figur oder den Leser eingestellt ist, hält man auseinander: die Erzählperspektive des Autors, des Erzählers, der Figur, des Lesers.

DerAutorkann offen in den Szenen treten, besonders in der Ich-Form der Erzählung, in den autobiografischen Werken. Tagebüchern, Memoiren, Reisebeschreibungen. Er schafft das Sujet, den Erzähler und die Figuren, er lässt sie reden und handeln. Ungeachtet dessen, ob sich der Autor als Schöpfer hinter seinen Romanfiguren versteckt oder sich offen zeigt, Objektivität oder Subjektivität anstrebt, trägt sein Werk den Stempel seiner Individualität.

Die zweite Gestalt im literarischen Kommunikationsprozess ist der Erzähler in der Ich- oder Er-Form. Beide können mit dem Autor identisch sein oder eine beliebige Gestalt darstellen. Danach richten sich der Inhalt und die sprachliche Form des Werkes. Ein Kind erzählt ganz anders als eine verzweifelte Frau. Wenn ein Schriftsteller eine Szene schildert, so soll er sie unbedingt mit den Augen eines „Jemanden“ sehen, einen Ausgangspunkt finden, sonst ist es unmöglich, überhaupt zu schreiben.

Es können sich mehrere Erzähler einstellen (pluralische Erzähler): der Eine übergibt dem Anderen das Wort. Das ist das Prinzip der Schachtelerzählung. Manche Werke sind nach dem Prinzip der Rahmenerzählung gebaut, wenn z.B. die Geschichte vom auktorialen (auktoralen) Erzähler eingeleitet wird, dann gibt der personale Erzähler das Geschehen wieder, zum Schluss schaltet sich nochmals der auktoriale Erzähler ein. Der auktoriale Erzähler betrachtet und erzählt aus der Perspektive des Autors, der personale Erzähler dagegen aus der Perspektive einer Person.

Je nach den Darstellungsarten entstehen verschiedene „Gestalten des auktorialen Erzählens“: er kann möglichst objektiv, distanziert, sachlich berichten, ohne seine Stellungnahme zu verraten, dann behält er die Haltung eines Beobachters oder eines Chronisten, ebenso wie der Regieführer in einem Dokumentarfilm. Er mischt sich in die Ereignisse nicht ein, als ob er ihre Ursachen und ihre Reihenfolge nicht kenne. Ganz anders benimmt sich der Erzähler, der nicht gleichgültig bleiben will, sondern seine Meinung, seine Einschätzung äußert, Kommentare und persönliche Betrachtungen anstellt. Er ist ein subjektiver Betrachter. Er greift zum Erzählen, Schildern, Charakterisieren.

Die Erzählperspektive der Figuren manifestiert sich in der Figurensprache selbst, in der erlebten Rede, teilweise auch in der Autorensprache. Das geschehen kann vom Blickpunkt einer Figur geschildert werden. Es kann so viele Erzählperspektiven geben als handelnde Personen mitwirken. Davon signalisieren die Wortwahl und die grammatischen Mittel wie: Artikelgebrauch, Zeitformen, Moduswechsel, Satzaufbau.

Die Erzählperspektive des Lesers (Empfängers, Publikums) kann in verschiedenen Grad zur Geltung kommen. Jeder Autor ist bestrebt, seinen Leser zu beeinflussen. Der Eine tut es offen, der Andere versteckt.

Die offene Einstellung auf den Leser wird sprachlich durch verschiedene Mittel angezeigt: durch die Anrede an den Leser; durch Fragesätze, die den Leser aktivieren wollen; durch Ausrufsätze, Schaltsätze, die die Kommentare des Autors enthalten; durch die lexikalische Auswahl; durch die Berücksichtigung der Informiertheit des Lesers beim Artikelgebrauch. Die Ich – Form schafft den Eindruck der Kontaktaufnahme mit dem Leser.

Ein Roman im Briefstil erweckt den Anschein, an einen Adressaten gerichtet zu sein, daher ist diese Form vertraulicher, intimer als die Er -Form der Erzählung.

Die zweite Komponente der Erzählperspektive ist der räumlich-zeitliche Blickpunkt der Darstellung.

Die zeitlichen Beziehungen in der Belletristik sind ebenso verwickelt wie die eben geschilderten Beziehungen zwischen den Gestalten des Erzählers. Der Verfasser und der Leser haben keinen unmittelbaren zeitlichen Kontakt. Wichtig für den Inhalt und die Form des Werkes ist die fiktive Zeit, die so genannte Erzählzeit. Der Autor und der Leser müssen ihren objektiven Zeitpunkt verlassen und sich in die Zeit der handelnden Personen versetzen. Je mehr sich die beiden in die erzählte Welt hinein leben, desto wirksamer ist das Kunstwerk. Wie oft tut es uns leid, nach dem Lesen eines Buches von den handelnden Personen Abschied zu nehmen, obwohl sie zeitlich von uns sehr entfernt sind.

Als durchgehende Formen, die den Hintergrund der Schilderung malen, dienen das Präteritum oder das Präsens. Die Er-Form der Erzählung begünstigt das Präteritum, die Ich-Form bevorzugt das Präsens.

Für einen historischen Roman, einen Zukunftsroman, einen Gegenwartsroman können beide Zeitformen gewählt werden. Beide eignen sich für das Grundtempus der Erzählung wegen ihrer kurzen syntaktischen Form und semantischen Elastizität; sie sind mehrdeutig, können deshalb leicht in das Gebrauchsgebiet anderer Zeitformen transportiert werden. Das Präteritum zieht man häufiger dem Präsens vor, weil es eine distanzierte Perspektive schafft (eine schärfere Grenze zwischen der objektiven und der erzählten Welt) und in Bezug auf die Aktionsart (vollendete/unvollendete Handlung) indifferent ist, während das Präsens das Sem „Dauer der Handlung“ besitzt und das Geschehen vergegenwärtigt.

Durch die Kombination des Grundtempus mit anderen Tempora schafft der Autor ein zeitliches Relief. Den Zeitformenwechsel nutzt man zur Angabe der veränderten Erzählperspektive sowie zur Beschleunigung oder Verlangsamung des Erzähltempos aus.

Auffallend ist, das der erste Märchensatz unbedingt im Präteritum und der letzte im Präsens steht: Es war einmal ... Und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie noch heute.

Die Änderung der zeitlichen Perspektive bedeutet zugleich auch die Änderung des räumlichen Standpunktes, z.B.: „Er sitzt 10 Jahre alt und schon erwachsen zugleich wieder allein in der letzten Bank. Der Lehrer Dürr ruft ihn auf“ (L. Frank. Links, wo das Herz ist). Das Präsens in der präteritalen Umgebung markiert die Grenze zwischen der geschilderten Wirklichkeit und den Träumen im Schlaf einer handelnden Person.

Man nutzt den Zeitformenwechsel aus, um den Leser aus einer Epoche in die andere hinüberzutragen.

In einer Kette von präteritalen Formen kann das Perfekt hinein geschoben werden, das einen Punkt von dem anderen trennt, indem es zugleich den Anschluss einer Zeitspanne andeutet, z. B. die Großmutter erzählt von der unglücklichen Liebe zweier junger Leute: „Auf deines Großvaters Hochzeit tanzten sie miteinander, und ich entsinne mich wohl, sie machten ein schönes Paar zusammen. Es ist aber das letzte Mal gewesen, er nahm bald darauf seinen Abschied und kaufte sich weit von hier ein Landhaus“ (Storm, Im Sonnenschein). Drei Zeitformen entsprechen drei zeitliche Perspektiven: das Präsens gibt den Zeitpunkt des Erzählers (der Großmutter) an, ihr Schicksal ist in der Form des epischen Präteritums dargelegt.

Mit der zeitlichen Perspektive ist auch das Erzähltempo verbunden: es kann ruhig, episch oder rasch, dynamisch, auch sprunghaft sein. Als sprachliches Hauptzeichen des Erzähltempos dienen wiederum die Zeitformen, z.B.:

A. Das Präteritum schildert die Ereignisse in ihrer natürlichen linearen Folge, wie es in einem Märchen üblich ist;

B. Wechsel des Präteritums durch das Präsens historicum macht das rascher: Später, als es ganz dunkel geworden. Trat sie vor die Türe. Ich kam – ich näherte mich – sie zieht sich langsam zurück in das dunkle Hausfeuer – ich fasse sie bei der Hand und sage: ich bin ein Liebhaber von schönen Blumen und Küssen ... – und ich küsse sie rasch ... (H. Heine. Die Harzreise);

C. Der Verfasser kann das Erzähltempo je nach Belieben lenken: er kann auch rückschauende (retrospektive) oder vorausschauende zeitliche Perspektive wählen, Zeitsprünge machen, zur Zeitraffung greifen. So z.B. das Plusquamperfekt am Anfang eines Erzählabschnitts enthält eine Einleitung, Exposition, zugleich einen retrospektiven Überblick (d.h. Blick in die Vergangenheit);

D. Mit Hilfe des Zeitformwechsels kann die Darstellung in Abschnitte zerlegt werden, die temporal zueinander gehören, lokal (Situationsmäßig) aber getrennt sind. Auf diese Weise versetzt der Autor seine Leser aus einer Umgebung in die andere, führt sie von einer Romanperson zu einer anderen.

Rededarstellung

Rededarstellung ist ein Oberbegriff a) für die Wiedergabe einer realen mündlichen oder schriftlichen Äußerung; b) für die Darstellung in der künstlerischen Literatur (fiktive Redewiedergabe) [19, S. 282].

In einem erzählenden (epischen)Werk unterscheidet man die Autorensprache und die Figurensprache, d.h. die Äußerungen der im Text erscheinenden Personen.

Alle Äußerungen können in der direkten, indirekten und erlebten Rede verlaufen.

Die direkte Rede

Bei der direkten rede kommt der Urheber selbst zu Wort. Es ist eine wörtliche mündliche oder schriftliche Äußerung einer Person (seltener eine kollektive Äußerung). In der Publizistik (oder in der Wissenschaft) schaltet man direkte rede in der Form eines Zitats ein, in einem epischen Werk lässt der Autor seine Figuren selbst sprechen. Der Text eines Bühnenwerkes besteht nur aus Figurensprache, abgesehen von den für die Regie notwendigen Kommentaren des Verfassers.

Direkte Rede äußert sich in Monolog oder Dialog. Für die direkte Rede in der schönen Literatur gebraucht man solche einleitenden Verben wie sagen, sprechen, fragen, antworten (neutrale Verben) oder die, die die Art des Sprechens charakterisieren flüstern, rufen, lispeln, stammeln.

Die uneingeleitete Rede in einem Dialog heißt Blankdialog. Sie ist erkennbar: grammatisch durch die 1. Person, grafisch durch Anführungszeichen oder Bindestriche, innovatorisch durch Pausen, z.B. ein Gespräch zwischen Karl und Anna in der gleichnamigen Novelle von L. Frank: „Was machen Sie denn da? Das ist doch keine Arbeit für Sie?“ „Du sagst Sie noch ein einziges Mal sagen, Sie seien mein Mann, hören Sie, noch ein einziges Mal, wenn Sie es sagen!“ Tränen des Zornes standen in ihren Augen.“

Durch direkte Rede gewinnt die Erzählung an Lebhaftigkeit, Glaubwürdigkeit, Anschaulichkeit. Sie macht jede Szene zu einem kleinen dramatischen Vorgang für sich. Der Autor erzählt nicht wie ein Chronist, er stellt das.

Die indirekte Rede

Die indirekte (abhängige) Rede ist die Form der mittelbaren Redewiedergabe, wenn der Inhalt fremder Rede berichtet wird. Sie ist häufig in der Publizistik und der Wissenschaft anzutreffen. Ihre äußeren Merkmale sind: 3. Person statt der 1. Person, oft Nebensätze (meinte, dass ..; sagte, dass ...), oft Konjunktiv statt Indikativ. Die individuellen Merkmale der persönlichen Rede werden in der Regel ausgelassen, es kommt darauf an, den allgemeinen Inhalt mitzuteilen. Deshalb ist die indirekte Rede emotionsarm, förmlich, sachlich. Statt den Wortlaut einer Rede, eines Berichts genau wiederzugeben, greift der Journalist, Chronist, Protokollant, Wissenschaftler zur sparsamen Form der indirekten Rede [19, S. 283].

Ein Schriftsteller versteht es, die direkte Rede mit der indirekten kunstvoll zu kombinieren. Die indirekte Rede übernimmt dabei drei Aufgaben:

1. die kompositorische Funktion der Abwechslung;

2. sie enthält die für den Fortgang der Erzählung wichtigen Erklärungen;

3. sie trägt zur Charakterisierung einer Figur bei.

Die erlebte Rede

Die erlebte Rede ist eine Reflexionsdarstellung der Figuren, wenn sich die Perspektive des Autors (Erzählers) und die der Figur vereinigen, so dass eine gemischte Autor – Personen – Perspektive entsteht. Für die erlebte Rede gibt es mehrere synonymische Bezeichnungen: verschleierte Rede, uneigentlich – direkte Rede, Imperfekt der Rede etc. Das erklärt sich dadurch, dass sich in der erlebten Rede alle Möglichkeiten der Rededarstellung berühren. Sie stellt die Verbindung zwischen der Autorensprache und der Figurensprache her, weil beide ineinander greifen, so dass es oft nicht mehr erkennbar ist, wessen Stimme man hört. Unklar werden auch die Grenzen zwischen direkter und indirekter Rede.

Die erlebte Rede besitzt die undeutlichsten formellen Merkmale. Die moderne Literatur bevorzugt die erlebte Rede, weil sie die Versenkung in das Innenleben der Figur ermöglicht und den Bewusstseinsstrom widerspiegelt. Meist verflechten sich alle Arten der Rede, doch bei schärferer Analyse bemerkt man die Übergänge von einer Art zur anderen. An den Personalformen kann man die erlebte Rede nicht erkennen, meist werden die Gedanken in der 3. Person, seltener in der 1. Person und in der 2. Person Singular dargelegt. Es erfolgt auch kein äußerer Tempuswechsel: als Durchgangstempus bleibt gewöhnlich das Präteritum. Ausschlaggebend ist jedoch die Veränderung seiner Bedeutung – die Bedeutung der Gegenwart, sogar der Zukunft, z.B.: „Er hatte schon Fieber. Die kranke Hand durfte ihm keinen Streich spielen, bis er bei Leni ankam. Bei Leni wurde verbunden, gewaschen, gegessen, getrunken, geschlafen, geheilt“ (A. Seghers. Das siebte Kreuz).

Der Moduswechsel verrät auch nicht immer die erlebte Rede. Vielmehr erkennt man die erlebte Rede an syntaktischen Zeichen (Ausrufesätze, Fragesätze, Ellipsen, Satzabbrüche) sowie an der Lexik, die individuelle Merkmale annimmt. Typische Figurensprachelemente kennzeichnen die erlebte Rede: Interjektionen, Partikeln, Dialektismen, Jargonismen, Professionalismen, Lieblingswörter etc., z.B.: „Sie hatte alles wohl überlegt. An Härte gegen sich selbst fehlte es ihr nicht. Philipp? Nun, Philipps Rechte bedrückten sie am wenigsten. Hatte er denn Rechte an sie? Rechte, durch welche Vorzüge und Leistungen erworben?“ (Bachmann, Drei Wege zur See).

Fragesätze, Partikel (nun), Ellipsen markieren die erlebte Rede von Elisabeth. Eigentlich ist es ein Selbstgespräch, ein innerer Monolog.

Die erlebte Rede kann auch kollektive Gedanken einkleiden wie z.B. in Kellermanns „Totentanz“ hört sich die Versammlung die Rede des neuen Bürgermeisters an: „Die Bürger saßen mit trunkenen Augen. Ja, das war ein anderer Kopf ... der war bei Gott ein schöpferischer Kopf!“ Typische Ausdruckweise der Kleinbürger, die Elemente der mündlichen Alltagsrede wie „ja“, „bei Gott“ markieren ihre Rede.

Eine Abart der erlebten Rede ist der innere Monolog. Er steht formal der direkten Rede nah. Der innere Monolog ist meist in der Ich-Form durchgeführt, z.B.: „Er legte den Hörer auf. Es war jetzt merkwürdig still. ... Ich gehe ja nicht plötzlich und unerwartet weg. Ich gehe seit Jahren. Es ist ein langes, langes, langes Abschiednehmen gewesen“ (Otto. Zeit der Störche).

Interessant ist der Fall einesfiktiven Dialogs (Traumdialog, Denkdialog).

Robert Iswall stellt sich ein Zusammentreffen seiner Klassenkameraden vor: „Hoch die Tassen! Was bist du? Donnerwetter! Und du? Allerhand! Und du? Sieh an, sieh an!“ (Kant, Die Aula).

Auch ein Selbstgespräch ist möglich: die Figur spaltet sich in ein doppeltes Ich; beide Ichs streiten miteinander, überreden einander.